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Rentierbaby

Der erfolglose Comedian Donny Dunn (Richard Gadd) arbeitet nebenbei in einer Bar und ist mit seinem Leben furchtbar unzufrieden. Eines Tages betritt die, laut eigener Aussage, erfolgreiche Anwältin Martha Scott (Jessica Gunning) offensichtlich aufgelöst die Bar und bekommt von Donny, da sie kein Geld dabeihat, einen Tee aufs Haus spendiert. Zwischen den beiden entwickelt sich eine seltsame Art der Freundschaft, als Martha daraufhin täglich in die Bar spaziert. Mit der Zeit ändert sich diese Beziehung jedoch, denn Marthas offensichtliche Avancen werden immer aggressiver und einnehmender. Schon bald beginnt sie, ihm auch an anderen Orten zu folgen und sein E-Mail-Konto mit unzähligen Nachrichten, Tag und Nacht, zu fluten. Donny ist sich sicher, dass er nun eine Stalkerin hat und er vermutet, dass Martha zu noch gänzlich anderen Taten fähig sein könnte. Doch soll er nun, da er endlich die Aufmerksamkeit von einem Menschen erhält, die er sich sonst immer gewünscht hat, überhaupt etwas dagegen unternehmen?

Bis heute schlägt die Mini-Serie "Rentierbaby" hohe Wellen. Nach dem Gewinn von drei Emmys bei fünf Nominierungen steht die Show vor allem heute noch im Rampenlicht, weil eine der echten Figuren vor Gericht klagt. Der Grund: Netflix hat diese Show als wahre Geschichte beworben. Das stimmt zumindest ansatzweise, beruht diese doch auf den Erlebnissen des Comedians Richard Gadd (der sich hier dementsprechend selbst spielt), doch gab dieser selbst zu, dass diese auch fiktionalisiert wurden. Das hinterlässt natürlich einen bitteren Beigeschmack, denn eine Serie sollte nur dann als wahre Geschichte besprochen werden, wenn sich dahinter höchstens kleinere Anpassungen für einen besseren Schwung verbergen... vor allem bei solch einem schwierigen Thema. Ich will nicht zu genau ins Detail gehen, um unbedarfte Zuschauer*innen nicht zu spoilern, doch fällt mir eine Bewertung der Show, auch da vor Gericht noch längst nicht alles geklärt zu sein scheint, im Nachhinein etwas schwer. Generell ist "Rentierbaby" eine der besten Mini-Serien, die Netflix im Portfolio hat... doch das Gewese drumherum macht sie irgendwie etwas schlechter.
Denn was ist denn nun wahr und was erfunden in dieser Serie? Eigentlich kann einem das als Zuschauer egal sein, sofern man denn einfach nur gut unterhalten wurde, oder? Das ist bei "Rentierbaby" aber nicht so einfach, denn hier geht es um wirklich brutale, heftige Themen und auch Vorwürfe, die, sofern sie nicht stimmen sollten, eine grauenhafte Diffamierung diverser Personen nach sich ziehen. Das geht natürlich gar nicht, weswegen man diese Serie von zwei Seiten betrachten und sich zudem klarmachen sollte, dass man hier keine Dokumentation sieht, sondern eine fiktive Serie, die auf wahren Vorfällen beruht, diese aber anscheinend deutlich ausschmückt. Mit diesem Wissen im Hinterkopf kann man einen großartigen, allerdings auch sehr belastenden Thriller sehen, der nicht nur das Thema Stalking durchaus tiefer und auch unerwarteter anfasst, als man das zu Beginn erwartet. Die Show setzt sich mit Themen wie Selbsthass, sexuellem Missbrauch, dem Nicht-Anerkennen der eigenen Sexualität und auch der Ohnmacht des Polizeiapparates zusammen. Gerade wenn die Show davon erzählt, wie ein männliches Stalking-Opfer partout nicht ernstgenommen wird, gleichzeitig aber auch aufgrund einer Angst rund um seine Männlichkeit nicht in der Lage ist, die Fälle wirklich passend zu schildern, wird es ebenso komplex wie intensiv.
"Rentierbaby" ist keine Serie, die ich noch einmal sehen will - dafür ist sie einfach zu belastend, zu aufwühlend und lähmend. Das zeigt aber auch nur, wie treffsicher die Show darin ist, genau diese unangenehmen Themen anzusprechen und sie von gleich mehreren Seiten zu beleuchten. Da braucht es dann manchmal sogar einige Folgen, um die anfangs ziemlich seltsamen Verhaltensweisen einiger Figuren zu verstehen... was auf eine Art und Weise geschieht, die einem brutal den Boden unter den Füßen wegzieht. Nebenbei gibt es hin und wieder auch noch britischen und dementsprechend ziemlich fiesen Humor und gleich mehrere Darstellerleistungen, die einfach nur beeindrucken. Da wäre einerseits Richard Gadd, der hiermit das Kunststück vollbringt, seine eigenen Traumata aufzuarbeiten, sich selbst zu spielen und dabei auch noch eine unglaublich intensive Performance hinzulegen. Und natürlich Jessica Gunning, die nicht nur als Stalkerin, sondern ebenso als Opfer auftritt, was ihrer ohnehin hochinteressanten Figur einige Ebenen verleiht, die man so nicht erwartet hätte. Auch sämtliche Nebenrollen sind hervorragend besetzt, weswegen am Ende ein packendes Puzzle entsteht, welches in vielen Momenten eher Drama als Thriller ist und dabei mehr als einmal ganz heiße Eisen anfasst, ohne sich an ihnen zu verbrennen oder sie kleinzuhalten. Das ist dann schon sehr, sehr zermürbend und deswegen nichts für schwache Gemüter oder belastete Seelen. Und genau deswegen sollte eigentlich jeder mal einen Blick riskieren.

Fazit: Das leider ziemlich erhellende Drumherum um diese Serie nimmt ihr etwas von ihrer Intensität und stimmt nicht wirklich fröhlich. Doch auch ohne Diskussionen um Fiktion oder Realität sehen wir hier ein schwer zu ertragendes, hochspannendes und mit heftigen Themen jonglierendes Drama, welches einem noch lange nachhängt und vor allem Blickwinkel auf Tabuthemen erlaubt, die man so noch nicht gesehen hat, die aber unbedingt ange- und besprochen werden sollten.

Note: 2-



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