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Boston

Zu "Boston" gab es zuvor einige Unkenrufe zu hören: Amerika wolle sich mit diesem patriotischen Machwerk wieder ins rechte Licht rücken, sie würden erneut Muslime, Islam und Co. allesamt in eine böse Schublade stecken und sich selbst zu Helden ernennen. Auch hier sollte man jedoch einfach schweigen, wenn man es nicht besser weiß, denn erstens gehören die terroristischen Anschläge auf den Bostoner Marathon aus dem Jahr 2013 tatsächlich zu einem der düstersten Szenarien Amerikas, zum anderen geht Regisseur Peter Berg in solch empfindlichen Momenten eben nicht auf Nummer sicher, sondern schaut tatsächlich ein wenig genauer hin...

BOSTON


Tommy Saunders (Mark Wahlberg) ist Polizist in seiner Heimat Boston und ist am 15. April 2013 am Bostoner Marathon postiert, um dort die Menschenmassen zu regeln. Einige Stunden nach dem Beginn der Veranstaltung explodieren zwei Sprengsätze unter den Zuschauern, drei Menschen sterben, etliche weitere werden zum Teil schwer verletzt. In den nächsten Stunden und Tagen verläuft eine schweißtreibende Jagd nach den beiden Attentätern, in die sich auch FBI Agent Richard DesLauriers (Kevin Bacon) einmischt. Die beiden verschiedenen Bezirke müssen nun zusammenarbeiten, um die Täter ausfindig zu machen und somit weitere Gefahren zu bannen...

Der Anschlag auf den Bostoner Marathon 2013 gilt als einer der verheerendsten Amerikas seit dem 11. September... und ebenso wie bei den Attacken auf das World Trade Center 2001 hat Hollywood auch diesmal erstaunlich wenig Zeit verstrichen lassen, um diese Stunden der Angst und des Schocks filmisch umzusetzen. Mit Peter Berg hat man einen fähigen Regisseur engagiert, dessen letzte True Story namens "Deepwater Horizon" mir zwar weniger zusagte, dafür aber starkes Action-Kino bot. Für "Boston" ist nun allerdings mehr gefordert und Berg scheint aus seinen Fehlern zumindest ansatzweise gelernt zu haben und stattet seine Figuren und seine Geschichte mit wesentlich mehr Tragweite aus. 
Im Zentrum steht dabei nur zu Teilen der von Mark Wahlberg gespielte Tommy Saunders, der auch als einziger eine wirklich packende Hintergrundstory bekommt, während der Rest des namhaften Ensembles doch deutlich weniger gefordert ist. Während Wahlberg eine starke Leistung aufs Parkett legt und den Film klar zusammenhält, bleiben große Namen wie Kevin Bacon, J.K. Simmons und ganz besonders John Goodman überraschend deutlich im Hintergrund und selbst auf eine (unnötige) Ehe-Story mit Michelle Monaghan wird verzichtet... mit dem Ergebnis, dass die Beziehung zwischen Tommy und seiner Frau Carol in den wenigen, dafür aber eindeutigen und ehrlichen Momenten deutlich mehr Feuer erhält. Hervorheben muss man hier jedoch in erster Linie Alex Wolff und Themo Melikidze, welche die beiden Attentäter verkörpern und somit die größte Herausforderung auf ihren Schultern transportieren, der die beiden Newcomer aber durchgehend gewachsen sind. Regisseur Berg gibt den beiden Antagonisten nämlich überraschend viel Raum und Zeit, lässt sie somit zwar zu klaren Feinden, niemals aber zu Abziehbildern werden und gerade der jüngere Bruder Dschochar bekommt so einige Momente, die sich zumindest in Grauzonen hieven lassen, wenn er von seiner Familie nahezu zu der erschreckenden Bluttat überredet wird. 
Berg nimmt hier nicht den einfachsten Weg und lässt die Feinde hier nicht zu leeren, fanatischen Hüllen verkommen, sondern gibt ihnen eine Geschichte mit auf den Weg, die ihre Taten niemals entschuldigt, sie auch nicht greifbar macht, sie aber dennoch ein Stückweit davon wegführt, dass Amerika sich hier einfach einen sinnfreien Feind erschaffen würde. Patriotismus kann man Berg hier auch kaum vorwerfen: Zwar zeigt er klar die Bereitschaft der Menschen auf, die schreckliche Tat zu rächen und für ihre Heimat zu kämpfen, dennoch hält er sich mit großen Parolen auf das große Amerika angenehm zurück, rückt Einzelkämpfer und ihre ganz persönlichen Motive in den Vordergrund. 
Angesichts einer solchen Sorgfalt entfalten die hochspannend inszenierten Actionmomente auch eine viel größere Intensität, die einen streckenweise schier in den Sessel drückt und mitnimmt, wenn die Nachwirkungen des Anschlags oder eines brutalen Shootouts hier doch in überraschend klarer Detaillierung gezeigt werden, was für eine FSK 12 so sicherlich nicht angemessen ist. Ein wenig Sorgfalt fehlt Berg jedoch in den Subplots, denn wenn man schon einige der Menschen vor dem Anschlag detailliert ins Bild rückt, ist es fehlerhaft, ihre großen, einschneidenden Momente später in wenigen Sekunden abzuhaken und manch eine wichtige Figur bloß zu reiner Staffage zu degradieren. So wirkt die Einführung etlicher Figuren zu Beginn, die später noch wichtiger werden, cleverer, als sie im Nachhinein ist, denn um manche von ihnen wird sich schließlich leider kaum noch gekümmert.
Fazit: Intensiver Thriller nach wahren Begebenheiten, der hochspannend und brutal die Wahrheit zeigt und nichts verharmlost. Trotz einiger schwach fallengelassener Subplots kann man Peter Berg angesichts seiner virtuos inszenierten und patriotisch angenehm zurückhaltenden Arbeit doch weitestgehend gratulieren.

Note: 3+




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