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Ein Soziopath ist im Haus: Filmkritik zu "Saltburn"

Im Jahr 2006 beginnt Oliver Quick (Barry Keoghan) sein Studium an der Universität von Oxford. Aufgrund seiner introvertierten Art besetzt er den Posten des Außenseiters förmlich von Beginn an und schafft es nicht, Freundschaften zu knüpfen... bis er dem beliebten Felix Catton (Jacob Elordi) begegnet. Der stammt aus einer sehr reichen Familie und wird deswegen vom gesamten Campus förmlich umgarnt. Aufgrund einer Hilfestellung wird Felix auf Oliver aufmerksam und es entwickelt sich eine anfangs zögerliche, mit der Zeit aber immer intensivere Freundschaft zwischen den beiden so unterschiedlichen, jungen Männern. Diese soll ihren Höhepunkt erfahren, als Felix Oliver für den Sommer in seine heimische Residenz und zu seiner Familie einlädt... wo die Lage sich jedoch erst langsam, schließlich aber immer intensiver zu verschlimmern beginnt.

Es gab für mich im Grunde nur einen richtigen Grund, mir den kürzlich auf Amazon Prime Video gestarteten "Saltburn" unbedingt anzusehen: Es ist der zweite Langfilm der Regisseurin Emerald Fennell, die vor zwei Jahren mit ihrem mehrfach oscarnominierten Debüt "Promising Young Woman" nicht nur mich, sondern auch das Gros der Kritiker und Zuschauer mit ihrem gesellschaftskritischen und ungemein intensiven Film förmlich umgehauen hat. Fennell bleibt auch mit ihrem zweiten Film im Bereich eines unangenehmen Psychogrammes, auch wenn man dieses zu Beginn noch gar nicht richtig ausmachen kann. Tatsächlich beginnt "Saltburn" nämlich als eine Art Coming-of-Age-Drama, in welchem sich ein einsamer Außenseiter mit dem beliebtesten Typen des Campus einlässt. Lange Zeit weiß man in diesem sehr intimen, mit schwarzhumorigen Momenten besetztem Drama gar nicht, wohin die Reise letztendlich eigentlich gehen soll, da Fennell sehr gespannt mit möglichen Andeutungen, aber auch mit einigen falschen Fährten jongliert. Erst wenn sich der Film nach rund fünfunddreißig Minuten auf die Residenz der Familie Catton einlässt, wird diese Spur klarer.
Genaueres zum weiteren Ablauf will ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten, nur dass es nicht bei einem Coming-of-Age-Drama bleiben wird, sondern der Film (ebenso wie "Promising Young Woman") noch sehr düstere Züge annehmen wird, die mehrfach schwer schlucken lassen. An das Debüt reicht "Saltburn" im direkten Vergleich jedoch zu keinem Zeitpunkt heran, da es dem zweiten Werk an der politischen Brisanz fehlt und der Plot zudem bisweilen ein wenig kopflos zu verlaufen droht. Das im Fokus stehende Psychogramm eines mehr als seltsamen Außenseiters, bei dem man nie so genau weiß, was in dessen Kopf eigentlich wirklich vorgeht, wirkt nicht immer ganz stimmig. Und gegen Ende verliert Fennell sogar noch etwas mehr als in ihrem ersten Werk den Boden unter den Füßen und läutet ein recht absurdes und mit Logiklöchern und Glaubwürdigkeitsproblemen behaftetes Finale ein, welches mich dann doch ein wenig verloren hat. Abgesehen von einigen kleineren Längen im letzten Drittel gibt es sonst aber nicht viel, was man "Saltburn" vorwerfen kann - Fennell's Regie ist makellos, Haupt- und Nebenfiguren sind ungemein stimmig und spannend gezeichnet und die quietschbunten Bilder einer ebenso kühlen wie einnehmenden Residenz wechseln sich sehr gekonnt mit düsteren, nebelverhangenen Aufnahmen von unnachgiebigen Nächten.
Der Cast macht seine Sache dabei durch die Bank weg hervorragend. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, wen sich Fennell alles an Bord holen konnte: Stars wie Rosamund Pike, Richard E. Grant und die (noch) nicht wirklich bekannte, hoffentlich bald aber öfter zu sehende Alison Oliver lassen in den Rollen von Felix' schrulliger Familie absolut nichts anbrennen und gefallen durch gekonntes, immer wieder auch unangenehm-aufdringliches Spiel. "Pirates of the Caribbean"-Star Jacob Elordi weiß als beliebter Oxford-Student anfangs noch nicht zu begeistern, darf im weiteren Verlauf der Handlung aber richtig feine Ecken und Kanten beweisen. Einzig der Auftritt von Carey Mulligan lässt sich in diesem Film nur als reine Gefälligkeit ansehen - ihre wenige Leinwandzeit erschließt sich weder in Sachen Handlung noch in der etwas seltsamen Darstellung der Schauspielerin. Und dann ist da natürlich Barry Keoghan, der perfekt besetzt ist auf die Rolle eines ebenso bemitleidenswerten wie auch reichlich angsteinflößenden Außenseiters. Keoghan beherrscht die leise Klaviatur einer solch schwierigen Rolle perfekt, ohne dabei zu überzeichnen - er jagt uns einen Schauer über den Rücken und gleichzeitig mit ihm mitfiebern, obwohl wir ahnen, dass dies ein Fehler sein könnte. Wäre seine Rolle in den wichtigsten Knackpunkten noch etwas feiner geschrieben, so könnte sich Keoghan lockere Chancen auf eine weitere Oscarnominierung in zwei Monaten machen. Nachdem er erst dieses Jahr für den wundervollen "Banshees of Inisherin" nominiert war, setzt er hier ein weiteres Ausrufezeichen und zeigt auf, warum er einer der wichtigsten und zugleich unterschätztesten Schauspieler seiner Generation ist.

Fazit: Obwohl sich das Drehbuch gerade gegen Ende deutlich verhebt und das sensible Psychogramm einer erstaunlichen Hauptfigur nicht immer ganz stimmig wirkt, gefällt "Saltburn" vor allem aufgrund seiner grandiosen Inszenierung und eines bravourösen Casts, welcher den spannenden Figuren durchweg doppelbödige Züge verleiht.

Note: 3+



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