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Das hörbare Grauen: Filmkritik zu "The Zone of Interest"

Die Familie Höß kann sich glücklich schätzen: Das Wetter ist himmlisch, der Garten an ihrem wohlig eingerichteten Haus beginnt in der Sonne zu erblühen, Kinder toben durch das Grün. Hedwig Höß (Sandra Hüller) ist dementsprechend zufrieden mit ihrem Leben, welches sie ohne größere Sorgen genießen kann, während sie dem Alltag aus Ausflügen zum See, dem Besuch von Familienmitgliedern sowie dem Tragen neuer Kleider beiwohnt. Die erschreckende Wahrheit blendet sie dabei aus: Die Familie Höß wohnt direkt neben dem Konzentrationslager von Auschwitz. Hinter den Mauern werden tagtäglich und dauerhaft hunderte Menschen ermordet und gefoltert. Hedwigs Ehemann Rudolf (Christian Friedel) arbeitet dort als strenger Kommandant, was ihm und seiner Familie das ehrenwerte und sorgenfreie Leben überhaupt erst ermöglicht...

Der britische Beitrag für den Auslandsoscar dieses Jahres gewann diesen Preis erwartungsgemäß und nahm zudem noch (das eher untypisch, da diese Kategorie meist für Blockbuster-Filme reserviert ist) auch den Oscar für den besten Ton mit. Das ist nur folgerichtig, gewinnt "The Zone of Interest" doch gerade aus seiner Soundkulisse seine enorme Wucht. Entgegen vielen anderen Filmen der letzten Jahre, welche die unbeschreiblichen Gräueltaten hinter den Mauern eines Konzentrationslagers bildhaft darzulegen versuchten, wagt der Film von "Under the Skin"-Regisseur Jonathan Glazer einen gänzlich anderen Ansatz. Er enthält den Zuschauern jeden Blick in das Konzentrationslager vor und verlässt sich stattdessen ganz und gar auf die Geräusche, welche über die Mauern hinweg in den absurd bunten Vorgarten der Familie Höß vordringt. Dabei ist es nicht nur die Soundkulisse, die grauenvoll immer wieder die Geräusche von schreienden Kindern und Gewehrschüssen hinüberweht, die uns hier schaudern lässt... sondern vor allem die Art und Weise, wie die Protagonisten mit eben dieser Tatsache umgehen. Nämlich, indem sie praktisch gar nicht mit ihr umgehen.
Das dauernde Rauschen der Verbrennungsöfen wird (bis auf wenige, wenig dezidierte Ausnahmen) von den ihrem schnöden Alltag nachgehenden Familienmitgliedern der Familie Höß einfach ignoriert. Sie haben sich bereits an die Geräuschkulisse des dauerhaften Todes gewöhnt oder interessieren sich einfach nicht für die Vorkommnisse hinter den Mauern - schließlich betrifft es sie nicht direkt und die Taten in Auschwitz ermöglichen ihnen ja erst den luxuriösen Lebensstil. Regisseur Glazer trifft mit diesem so auch noch nicht gesehenen Ansatz in der langen Liste der filmischen Mittel zur Bebilderung des Holocausts einen Nerv, der noch lange nachwirkt. Mit einer stilsicheren Kameraarbeit, welcher die ohnehin vom Zuschauer entrückten Figuren stets aus weiter Entfernung hält, sowie einem durch Mark und Bein gehenden Soundtrack erschafft er Bilder im Kopf des Publikums, die viel grausamer und erschütternder sind als alles, was er selbst wohl auf Kamera hätte bannen können. Wir sehen bösen Menschen dabei zu, wie sie völlig normale Dinge tun und das Böse in ihnen und um sie herum ignorieren... womöglich auch, weil sie sonst gar nicht weiterleben könnten. Das ist ein gänzlich neuer und unglaublich aufwühlender Blickwinkel auf die Welt der grausamen Nazis, den man so nicht erwartet hat und der oftmals schwer zu ertragen ist.
Leider geht diese eine Grundidee aber zugunsten einer sinnigen Dramaturgie, denn über seine bisweilen arg zähen 104 Minuten macht "The Zone of Interest" wenig mehr, als diesen künstlerischen Weg zu verfolgen. Nach einer Weile hat man verstanden, was uns Regisseur Glazer mit seinem eigenen Stil sagen und zeigen will... er hört jedoch damit nicht mehr auf und verzichtet darauf, die ohnehin völlig ungreifbaren Figuren noch durch eine Geschichte zu schicken. Da man schon früh verstanden hat, wo Sinn und Sinnhaftigkeit in diesem Experiment liegen, droht man alsbald auszusteigen, wenn uns Glazer nach der ersten Hälfte nur immer weiter mit entrückten Kameraarbeiten und bisweilen arg dick aufgetragenen Stilmitteln (wie eines vollkommen rot eingefärbten Bildschirms) auf die Pelle rückt. Das wirkt dann doch etwas zu gewollt und verliert nach einer gewissen Weile seinen Reiz, seine atmosphärische Dichte und auch seinen erzählerischen Wert. Als Kurzfilm wäre diese Herangehensweise sicherlich meisterhaft gewesen, über seine gesamte Dauer eines abendfüllenden Spielfilms möchte das aber nicht so ganz passen... trotz der beeindruckenden Leistung des Casts und der durchweg starken Herangehensweise des Regisseurs an die dunkelsten Tage der europäischen Geschichte.

Fazit: Glazers Inszenierung ist wuchtig, die gewählten Stilmittel originell und erschütternd. Leider trägt diese einzelne Idee den Film, der darüber hinaus auf eine gewisse Dramaturgie verzichtet, nicht über die gesamte Länge und trägt in einigen künstlerischen Ideen schlichtweg zu dick auf.

Note: 4+



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