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Originelle Apokalypse: Serienkritik zur ersten Staffel von "Fallout"

Im Jahr 2077 wurde die USA von einem verheerenden Atomkrieg fast vollends zerstört - zweihundert Jahre später sind die Staaten von Amerika eine tödliche Einöde, die zu einer Wüste geworden ist. Wenige Glückliche konnten sich in Atombunker, sogenannte "Vaults", flüchten und dort damit beginnen, eine neue amerikanische Zivilisation aufzubauen. Allerdings haben einige Menschen auch gelernt, an der Oberfläche zu leben, woraus diverse Parteien erwachsen sind - so wissen die Menschen in den Bunkern nichts von den Überlebenden an der Oberfläche und andersherum eben so wenig. Als ihr Vater entführt wird, muss sich die junge Vault-Bewohnerin Lucy (Ella Purnell) doch an die gefährliche Oberfläche aufmachen, um diesen zu finden und seine Entführerin zu stellen. Dabei trifft sie allerhand seltsame Gestalten wie den kopfgeldjagenden Ghul (Walton Goggins) oder den seine eigene Soldatenpflicht an sich reißenden Maximus (Aaron Moten), die ihr bei ihrer Reise zumeist entgegenstehen... denn ihre Ziele überschneiden sich bisweilen unangenehm.

Wir leben zum Glück in einer Zeit, in welcher wir uns vor neuen Videospielverfilmungen nicht mehr fürchten müssen. In den letzten zwei Jahren hat sich besonders der Serienmarkt hervorragend dafür in Stellung gebracht, Videospiele passend auf Film zu bannen. "The Witcher" wurde dabei noch ansatzweise kritisiert, doch spätestens mit "The Last Of Us" war klar, dass man auch Games gut verfilmen kann, wenn man nur die richtigen Leute (bestenfalls sogar Fans oder Beteiligte der Vorlage) ans Ruder lässt. Im Gegensatz zu "The Last Of Us", wo ich die Serie sehr mochte, aber dennoch die Spiele vorziehe, oder auch dem "Uncharted"-Film, kann ich bei Amazons Originalserie "Fallout" nun aber keinen Vergleich mit der Vorlage ziehen, denn mit der Videospielreihe, die sich mittlerweile auf mehrere Teile beläuft, bin ich nie in Berührung gekommen. Hört man auf das Echo der Fans, soll sich die Serie aber wohl besonders in Sachen Optik sehr nah an die Spiele halten und für Gamer allerhand Easter Eggs, Anspielungen und Charaktere aufbieten, die hier einen hohen Wiedererkennungswert genießen. Diese kleinen und großen Überraschungen sind an mir natürlich vorbeigezogen, weswegen ich die Serie als für sich stehende Geschichte genießen musste, was mir auf weiten Ebenen gelungen ist. So richtig abgeholt wurde ich bislang aber nicht, weswegen die bereits angekündigten, weiteren Staffeln meiner Ansicht nach gern noch etwas zulegen dürfen.
Ein wenig problematisch habe ich die Charaktere angesehen, denen es in vielen Fällen an Gravitas fehlt. Hauptfigur Lucy, die aus einer quasi kunterbunten, heilfrohen Welt anfangs ebenso fröhlich in die raue Welt der apokalyptischen Oberfläche hineingestoßen wird, wechselt immer wieder ziemlich generisch zwischen tougher Kampfamazone und ängstlichem Weltenneuling hin und her - als Identifikationsfigur ist sie soweit zwar sympathisch, aber ziemlich sprunghaft gezeichnet. Hauptdarstellerin Ella Purnell, unter anderem bekannt aus Tim Burtons "Die Insel der besonderen Kinder", kann der Figur auch nicht durchgehend die nötige Power verleihen. Ebenso ergeht es Aaron Moten, dem zwar eine spannendere Charakterwandlung auf den Leib geschrieben wird, dem man seine ständigen Zwiste und inneren Dämonen aber auch nicht ganz abnehmen darf. Einer stiehlt hier aber ohnehin jedem die Show, denn was "The Hateful Eight"-Star Walton Goggins als fieser Ghul, optisch eine Mischung aus dem Red Skull aus dem ersten "Captain America"-Film und Harry Potter's Nemesis Lord Voldemort, hier abliefert, macht einfach eine Mordsfreude. Als finsterer Bösewicht mit überraschend sensiblem Background und bedrohlicher Eiseskälte hat Goggins hier offenbar eine diebische Freude, mal so richtig böse zu sein und lotet dabei auch die originellen, dramatischen Aspekte seiner doppelbödigen Figur angenehm aus.
Das Worldbuilding, welches hier zugrunde der Videospielvorlage gemacht wird, ist soweit faszinierend und weiß vor allem optisch zu gefallen. Amazon hat eine Menge Geld in die Hand genommen, um einige atemberaubende Settings zu erwecken - schade nur, dass die Videoqualität des Streamingdienstes im direkten Vergleich zu Netflix und Co. weiterhin deutlich schlechter ist, weswegen einige wunderbar komponierte Szenen hier nicht ganz so eindrucksvoll daherkommen, wie sie es sein könnten. Ansonsten weiß die Regie, die mit mehreren Handlungsschauplätzen parallel agiert, zu überzeugen und auch einige früh aufgemachte Geheimnisse und Fragezeichen werden über die acht Folgen spannend weitergedacht, damit das Publikum am Ball bleibt. Die Actionszenen wissen vor allem in ihrer Heftigkeit zu überzeugen, ein Problem hatte ich jedoch mit dem Humor. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass die Videospiele generell ziemlich humorvoll angestrichen sind, wohingegen sich die Serie über weite Strecken sehr ernst nimmt. Da fallen die plötzlich eingestreuten, "witzigen" und schrillen Szenen, die den Geist der Vorlage treffen sollen, in ihrer Seltenheit aber immer wieder ziemlich aus dem Rahmen und beißen sich mit der ansonsten reichlich bedrückenden Düsternis. Der Cliffhanger der Staffel (beziehungsweise, gleich mehrere an der Zahl) machen allerdings Hoffnung, dass die Serie in Zukunft die Karten neu mischen und spannender weitergehen könnte. Ich bleibe jedenfalls noch weiter am Ball, denn das Potenzial dieser Welt ist einfach ungemein hoch.

Fazit: Ich hatte einige Probleme mit den Charakteren, dem etwas unstringent eingeflochtenen Humor und manch einer Handlungsentscheidung. Insgesamt hat mich die Welt von "Fallout" dank einiger spannender Ideen, netten Wendungen und optischen, kreativen Ergüssen aber genug abgeholt, um weiteren Staffeln gespannt entgegenzusehen.

Note: 3



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