Das neue Meisterwerk der "Game of Thrones"-Macher: Serienkritik zur ersten Staffel von "3 Body Problem"
In London untersucht der Polizist Clarence Shi (Benedict Wong) mehrere merkwürdige Todesfälle unter renommierten Wissenschaftlern - es scheinen Selbstmorde zu sein, die jedoch stets nach äußerst untypischen Mustern ablaufen. Parallel glaubt die Nanowissenschaftlerin Augustina Salazar (Eiza Gonzalez) ihren Verstand zu verlieren, als vor ihren Augen und ausschließlich für sie sichtbar ein herabzählender Countdown erscheint, den sie nicht mehr ausblenden kann. All diese Vorfälle scheinen sich auf einen wichtigen Tag in der Vergangenheit zu berufen, während welchem eine die Astrophysikerin Ye Wenjie (Zine Tseng) in den 60ern auf einen Anruf antwortete, den sie besser hätte ignorieren sollen. Denn seit diesem Tag ist unser Planet nicht mehr so, wie er sein sollte... und etwas kommt auf ihn zu, unaufhaltsam und noch völlig unverständlich.
Wenn die Macher des gewaltigsten Serienhits der letzten Jahre einen Kultroman verfilmen, der Science-Fiction-Fans rund um den Erdball völlig begeistert hat, dann erwartet man sich als Serienkonsument davon erst mal eine ganze Menge. Denn auch wenn David Benioff und D.B. Weiss viele Fans mit der letzten Staffel von "Game of Thrones" verprellten, will ihnen wohl niemand ihren generellen Ideenreichtum und ihre Fähigkeit, packende und komplexe Geschichten mit doppelbödigen Charakteren zu erzählen, absprechen. Diesmal arbeiteten sie mit Netflix zusammen und dass sich selbst eine solche Ausnahmeerscheinung kurz nach ihrer Veröffentlichung damit konfrontiert sah, dass man nach den verhältnismäßig enttäuschenden Abrufzahlen noch nicht wüsste, ob es mit dieser Serie noch weitergehen würde, spricht wohl Bände darüber, wie undurchsichtig der Serienmarkt in den letzten Jahren geworden ist. Natürlich erhält "3 Body Problem" aber mindestens noch eine weitere Staffel und alles andere wäre auch sehr schade gewesen. Denn mit diesen ersten acht Folgen vollbringen Benioff und Weiss einen echten Tusch für das Sci-Fi-Genre, den man in dieser Wucht locker mit wegweisenden Meisterwerken wie Stanley Kubricks "2001" oder Christopher Nolans "Interstellar" vergleichen kann.
Die größte Freude an der Serie wird man jedoch dann haben, wenn man zuvor möglichst wenig über das weiß, worum es hier gehen wird (sofern man die Romanvorlage nicht kennt, logischerweise). Denn dann treffen einen diverse Wendungen und Enthüllungen und die ganz großen Highlights, die oftmals völlig ohne Vorwarnung auf das Publikum hereinbrechen, wie ein Faustschlag. Gerade die ersten Folgen leben dabei von einer ungemein dichten, bisweilen gar schaurigen Atmosphäre, die immer wieder ganz plötzlich mit einem WTF-Moment aller erster Güte um die Ecke kommt. Wenn sich mit der Zeit enträtselt hat, um was und wen es hier eigentlich geht, basteln die Macher daraus eine exzellente, intelligente und hochkomplexe Mischung aus Wissenschafts-Thriller, Science-Fiction und Drama - packende Unterhaltung nach dem Lehrbuch und darüber hinaus, wobei angesichts der vielen Figuren, Schauplätze und wissenschaftlicher Methoden durchweg volle Konzentration verlangt wird. Man bleibt zwar stets beim auch fürs Mainstream-Publikum nachvollziehbaren und verständlichen Maß, doch dürften auch Wissenschafts-Fans angesichts realer Vorkommnisse und Theorien, die hier in gänzlich neuen Ansätzen in diese fiktive Geschichte eingebunden werden, definitiv jauchzen. Noch dazu haben die "Game of Thrones"-Macher eine exzellente Besetzung bis in die Nebenrollen, die Rückkehr des Komponisten Ramin Djawadi sowie opulente Bilder, die nur in wenigen Momenten ihre Computerherkunft nicht verbergen können, zu bieten. Letztere halten dabei, wenn auch in völlig anderem Maß, locker mit den großen Setpieces von "Game of Thrones" mit und sind in ihrer Größe absolut berauschend.
Einen kleinen Preis hat diese hochkomplexe Erzählung aber zu zahlen, denn für eine überschaubare Anzahl von nur acht Episoden ist diese Geschichte eigentlich zu groß. Das spürt man zwischendurch, wenn die Erzählung ein wenig sprunghaft zu werden droht und einzelne Szenen viel zu rasch abgehakt werden, um dann mit dem nächsten Status quo weiterzumachen. Mit dem hier gezeigten Stoff hätte sich locker auch die doppelte Episodenanzahl füllen lassen und das Endergebnis wäre mindestens genauso spannend gewesen, da man die vorhandene Zeit hätte nutzen können, um den Charakteren noch etwas mehr emotionale Grundlagen zu liefern und einzelne Szenen-Highlights auch passend auslaufen zu lassen, damit man Zeit hat, angemessen auf diese zu reagieren. Auch fehlt es den beiden letzten Folgen im direkten Vergleich an der enormen Dynamik der vorherigen Episoden, sodass sich ein paar letzte Fragenzeichen einreihen, die angesichts der ziemlich wundersamen Aufmachung einer absolut verrückten wissenschaftlichen Mission auftauchten. Aber diese Zeit der Serienunterhaltung, in der Serien auch mal deutlich mehr als acht oder zehn Folgen pro Staffel haben können, um zwischen den großen Highlights auch richtige Charakterstudie betreiben zu können, sind ja leider vorbei. Das macht aus "3 Body Problem" aber keine Enttäuschung, sondern nur eine Serie, die deswegen nicht ganz die Bestnote erreicht. Alles andere ist aber so gut, so packend und unglaublich berauschend, dass ich es kaum mehr abwarten kann zu sehen, wie diese Reise weitergeht.
Fazit: Obwohl ich mir deutlich mehr Episoden und Zeit gewünscht hätte, um besonders den Charakteren noch mehr Raum zur Entfaltung zu geben, liefern Weiss und Benioff hier eine Sci-Fi-Fabel allererster Güteklasse mit hervorragendem Spannungsbogen, grandiosen Bildern und einer packenden, komplexen Story ab, die volle Konzentration verlangt.
Note: 2+
Kommentare
Kommentar veröffentlichen