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Wieder Familien-Horror von der Stange: Filmkritik zu Netflix' "The Deliverance"

Die dreifache Mutter Ebony Jackson (Andra Day) ist gerade gemeinsam mit ihren drei Kindern und ihrer krebskranken Mutter Alberta (Glenn Close) in ein neues Haus gezogen. Dort will die von schweren Schicksalsschlägen geprägte Familie einen Neuanfang wagen. So ganz möchte das aber nicht klappen, denn mit der Erziehung der Kids hat Ebony weiterhin Probleme, ihr Alkoholkonsum nimmt wieder zu und Alberta steht, da sie ihre Enkelkinder in Gefahr sieht, auch nicht wirklich auf ihrer Seite. Dass sich die Kinder zunehmend seltsam verhalten, ließe sich somit erst einmal durch die psychische Ausnahmesituation erklären. Mit der Zeit geschehen jedoch Dinge in diesem Haus, die sich nicht mehr einfach durch das Verhalten der überforderten und alkoholkranken Mutter erklären lassen... und der Keller des Hauses scheint dabei eine ganz besondere Rolle zu spielen.

60 Millionen Dollar hat Netflix in einem erbitterten Bieterstreit für die Rechte an dieser Produktion springen lassen und man fragt sich ernsthaft, wieso sie so viel Geld aus dem Fenster schmeißen, wenn sie dieses auch in die Fortführung manch einer zu Unrecht abgesägten Hit-Serie stecken könnten. Nun gut, in Sachen Promo macht dieses "The Deliverance" schon etwas her, denn es sind einige bekannte Namen dabei und die Parallelen zum erfolgreichsten Horror-Franchise der Kinogeschichte liegen auch auf der Hand. Denn an die megaerfolgreichen "Conjuring"-Filme erinnert nicht nur der Aufhänger rund um eine frische in ein neues Haus gezogene Familie, die plötzlich von seltsamen Vorkommnissen geplagt wird. Die ganze Nummer soll zudem auch auf einer wahren Begebenheit beruhen, wobei man diese Inspiration ähnlich wie die Abenteuer von Ed und Lorraine Warren besser nicht auf ihre Glaubwürdigkeit abklopft - gerade gegen Ende passieren dabei eine ziemlich unglaubliche Dinge, die deutlich machen, dass diese Story wirklich eher auf einer ähnlich zugetragenen Geschichte beruht alsdass sie wirklich im Detail so geschehen ist.
Bis es soweit ist, hat der Film jedoch einen langen Atem vorzuweisen, wobei uns die fünfköpfige Familie und ihre allgemeine, ziemlich bedrückende Situation erst einmal sehr ausführlich vorgestellt wird. Dieses bisweilen arg düstere Familiendrama zieht sich bis über die Halbzeit, was an und für sich nichts Schlechtes ist, denn die Vorstellung von individuellen Figuren ist wichtig, damit wir am Ende auch wirklich mit ihnen mitfiebern können, sobald die Türen knallen und die Dachdielen bedrohlich knarzen. Leider zerfällt "The Deliverance" aber so überdeutlich in zwei Teile, dass die Steilvorlage, das Familiendrama als Inkarnation für den übernatürlichen Schrecken zu nutzen, nicht befahren wird. Beinahe hat man das Gefühl, zwei unterschiedliche Filme parallel zu begutachten, wobei die eine Hälfte ein bisweilen erdrückendes, in seiner Aggressivität aber auch ziemlich manipulatives Familiendrama ist und die andere der typische Horror-Einheitsbrei. Beide Hälften weisen keine richtigen Bezüge zueinander auf, weswegen die viele Zeit, die für das Einführen in die dramatischen Familienaspekte draufgeht, am Ende ein wenig verprasst erscheint. Besonders der Kniff, die gruseligen Vorfälle immer wieder der ohnehin neben sich stehenden Mutter in die Schuhe zu schieben, wird kaum genutzt und verpufft so nutzlos.
Es scheint beinahe so, als hätten die Macher erst nach rund einer Stunde bemerkt, dass sie hier eigentlich einen Horrorfilm zu erzählen haben und pumpen die letzten vierzig Minuten deswegen mit jedwedem Klischee des Genres (inklusive einem überlangen und lauten Finale) voll. Das erfährt zu diesem Augenblick jedoch keine echte Wirkung mehr, da die Finesse der Regie offenkundig nicht darin besteht, eine bedrohliche Schaueratmosphäre aufzubauen, weswegen man sich in den ängstlich nach Lehrbuch abgefilmten Horrorszenen kaum gruseln mag. Wirkungsvoller sind hier schon die einzelnen Dramen der Charaktere an sich, wobei Glenn Close als religiöser Drachen die interessanteste und spannendste Figur darstellt, die den Klischees glücklicherweise entgehen kann. Zusammenpassen möchte das aber, wenn "The Deliverance" in seinem tumben Finale förmlich auseinanderfällt, aber trotzdem nicht wirklich und wird daher für die eine Zuschauerfraktion zu zäh und für die andere zu uninspiriert sein. Was genau Netflix nun ausgerechnet an dieser typischen Horror-Stangenware nun so sehr gereizt hat, wird wohl das Geheimnis des Streamingdienstes bleiben. Man kann nur hoffen, dass uns im bald anbrechenden Herbst noch einige gruseligere Stoffe erwarten.

Fazit: Die eine Hälfte düsteres Familiendrama, die andere Hälfte typischer Klischee-Horror ohne echte Regie-Inspiration - zusammenpassen mag das leider nicht, obwohl der Plot immer wieder einige Steilvorlagen liefert, um mehr als den Einheitsbrei abzufilmen. Dieses Potenzial bleibt leider ungenutzt und wird echte Horrorfans daher nicht hinterm Ofen hervorlocken.

Note: 4



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