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Netflix' nächste Oscar-Hoffnung: Filmkritik zu "Nyad"

Schon in jungen Jahren brach Diana Nyad (Annette Bening) als Schwimmerin Rekorde und schwamm dabei Strecken auf offener See in Zeiten, die niemand für möglich gehalten hätte. Im Jahr 2010 ist sie sechzig Jahre alt und nur eines wurmt sie wirklich: Dass es ihr im Alter von achtundzwanzig Jahren nicht gelang, die 103 Meilen lange Strecke von Kuba nach Florida zurückzulegen. Da dieser Traum sie förmlich auffrisst, möchte sie es nun nochmal wagen und den Verlust von damals in einen Gewinn von heute verwandeln. Ihre beste Freundin Bonnie Stoll (Jodie Foster) hegt erst aufgrund von Dianas fortgeschrittenem Alter Zweifel, unterstützt sie dann jedoch mit aller Tatenkraft bei den Vorbereitungen. Zudem trommeln die beiden ein Team aus erfahrenen Seeleuten, Ärzten und sogar Haiexperten zusammen, um die Strecke zu sichern... denn zwischen Kuba und Florida lauern im Meer sowohl die großen Meeresfische als auch Strudel, giftige Quallen und unvorhersehbare Wetterkapriolen.

Die wahre Geschichte der Schwimmlegende Diana Nyad ist in der Tat unglaublich und davon lebt natürlich auch dieser Film - wie kann man eine solche Geschichte denn auch nicht packend finden? Netflix möchte ein Werk wie dieses, welches aufgrund seiner offen lesbisch lebenden Protagonistin auch noch eine aktuelle, diverse Komponente mitbringt, gerne bei den Oscars im kommenden Jahr positionieren, denn Hollywood liebt solche Geschichten offenkundig. Die größten Hoffnungen auf mindestens eine Nominierung darf sich da dann wohl "American Beauty"-Star Annette Bening machen, die in der Hauptrolle eine ungemeine Strahlkraft mitbringt und sowohl mit Mut zum Unschönen als auch mit einer strengen Egomanie und einem eisernen Willen überzeugt. Jodie Foster spielt ihre beste Freundin, was erst wie der etwas undankbarere Part in einer Heldengeschichte klingt - an der Seitenlinie, abseits der körperlichen Strapazen, aufbauende Phrasen zuwerfend. Angesichts der persönlichen Komponente, die dieser Film dank der engen Beziehung zwischen den beiden Frauen aufmacht, weiß man am Ende aber nicht mehr, ob nun Diana oder Bonnie die stärkere Frau ist, denn gerade Bonnie muss sich aufgrund dieses gefährlichen Traums ihrer besten Freundin mit gefährlichen, emotionalen Hürden beschäftigen, die sie bis zum Rande ihrer Nerven einholen.
Da sich "Nyad" voll und ganz auf seine Titelfigur und deren Freundin konzentriert, bleiben andere Figuren deutlich zurück und das ist in der Tat schade. Der einzige, der hier noch mehr als nur ein paar Sätze sagen und so zumindest einen tieferen Eindruck hinterlassen darf, ist "Official Secrets"-Star Rhys Ifans als brummiger Seebär und helfende, wenn auch knurrende Stimme in der Not. Bei den anderen Figuren freut man sich über ihr Auftauchen, wenn Diana und Bonnie tatsächlich ein sympathisches und buntes Team aus verschiedenen Expert*innen zusammenstellen, welche einzelne Gefahren auf hoher See im Auge behalten. Leider dürfen diese Figuren, sobald sie vorgestellt wurden, im Grunde nichts mehr tun außer an der Seitenlinie zu stehen und der heldenhaften Schwimmerin besorgt zuzublicken. Das ist besonders schade, da sich unter diesen letztlich nur austauschbaren Gesichtern einige echte Charaktere anbahnen, die dann aber vollkommen ausgeblendet werden. Dass das ganze eine echte Teamleistung war, spürt man zwar auch so, aber wäre diese Botschaft noch eindringlicher gewesen, wenn man nicht nur drei Teammitgliedern die Aufmerksamkeit gegeben hätte, sondern auch den anderen zumindest in Teilen und über ihre (letztlich auch nicht wirklich beleuchtete) Funktion an Bord des rettenden Kahns hinaus.
Solche doch recht eklatanten Schwächen, zu denen auch ein paar kleine Längen in der ersten Hälfte und der Hang zum Pathetischen gehören, werden aber von der deutlichen Kraft der menschlichen und übermenschlichen Geschichte sowie der starken Inszenierung weitestgehend überstrahlt. Vor allem die zentralen Schwimmszenen sind mit einer unglaublichen Kraft inszeniert, wobei man einige dramaturgische Überspitzungen durchaus in Kauf nehmen darf, wenn sie so vorgetragen werden wie hier. Im Kern ist dies zwar eine Geschichte, die wir gerade vom Hollywood-Oscar-Kino so schon mehrfach gesehen haben - es ist eben doch nur der Plot einer Sportlerin, die sich allen Gegenwinden zum Trotz aufrafft und ihr Ding durchzieht. Solche Geschichten haben aber natürlich immer noch eine enorme Strahlkraft und wissen trotz ihrer durchgeskripteten Herangehensweise und den üblichen Weisheiten und (sicherlich wahren) Floskeln durchaus zu packen, weswegen man dem Film diese gewisse Formelhaftigkeit nicht wirklich vorwerfen mag. Zwar werden einige deutliche Konflikte, die Diana auch als schwierige Egomanin aufzeigen, die sogar ihr Team in Gefahr bringt, zugunsten einer herzlicheren Ausrichtung recht schnell fortgewischt. Am Ende obsiegt jedoch das Glücksgefühl angesichts eines gelungenen Films, der durchaus anspornt, Mut macht und sogar ein bisschen zu Tränen rühren kann.

Fazit: Die wahre Geschichte ist absolut unglaublich - Netflix erzählt sie hollywood-typisch recht formelhaft, aber auch mit viel emotionaler Power und einer starken Inszenierung. Grandios ist zudem Annette Bening in der Hauptrolle, auch wenn dabei viele interessante Figuren neben ihr, die deutlich mehr Potenzial gehabt hätten, im Hintergrund verschwinden.

Note: 3+



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