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Netflix kann es doch noch: Filmkritik zu "Rebel Ridge"

Per Fahrrad und mit einem ordentlichen Päckchen Geld in der Tasche trifft der Marine-Veteran Terry Richmond (Aaron Pierre) in der Kleinstadt Shelby Springs ein. Dort will er seinen Cousin Mike (Kaze Uzumaki) aus dem Gefängnis holen, indem er die Kaution von 10.000 Dollar hinterlegt. Noch bevor er dies tun kann, wird Terry jedoch von der städtischen Polizei aufs Korn genommen, verliert das Geld und muss somit einen anderen Weg finden, um seinen Cousin zu retten... der soll nämlich ins Staatsgefängnis verlegt werden, wo er aufgrund seiner Vergangenheit als Kronzeuge in Lebensgefahr schweben würde. Die einzige Hilfe scheint für Terry die junge Justizangestellte Summer McBride (AnnaSophia Robb) zu sein, doch auch diese scheint die Risiken innerhalb dieses Falls nicht zu arg tragen zu wollen. Als Terry weiter gräbt, kommt er nämlich einigen düsteren Geheimnissen bezüglich der örtlichen Polizei auf die Spur, die sich auch auf seinen Cousin auszuwirken scheinen...

Hand aufs Herz - Netflix hat in der Vergangenheit schon zahlreiche, richtig starke Filme abgeliefert. Nicht umsonst war der Streamingdienst bei den letzten Oscarverleihungen oftmals richtig weit vorne mit dabei. Dagegen steht aber auch sehr, sehr viel Mittelmaß, wobei gerade die großen Budgets oftmals in arg fahrige und maue Blockbuster gesteckt werden, die nicht wirklich überzeugen wollen. Nun greift jedoch das genaue Gegenteil: "Rebel Ridge" ist deutlich günstiger produziert und wartet nicht ansatzweise mit solch einer illustren Starbesetzung auf wie die fahlen Produktionen eines "The Gray Man" oder "Heart of Stone"... und ist dennoch um ein vielfaches überzeugender. Vielleicht sollte man bei Netflix diesem für alle Beteiligten erfreulichen Ansatz einfach mal mehr vertrauen - weniger Budget, dafür aber auch bessere Drehbücher. Der Kritikerspiegel spricht hierbei eine eindeutige Sprache, denn auch wenn "Rebel Ridge" nicht in vollem Umfang gelungen ist, so ist es "Green Room"-Regisseur Jeremy Saulnier dennoch gelungen, einen sehr packenden, kleinen Thriller zu erschaffen.
Neben Saulniers starker Regie liegt das vor allem auch an dem Hauptdarsteller. Aaron Pierre dürfte momentan vielen noch kein wirklicher Begriff sein und man kann nur hoffen, dass sich dies in naher Zukunft noch ändert. Pierre gibt den wortkargen, jedoch stets bedrohlich auftretenden und unter der Oberfläche brodelnden Ex-Marine mit einer schier vulkanischen Ausstrahlung. Seine Präsenz ist enorm, sowohl in den schön auf den Punkt geschriebenen Dialogen als auch in den wenigen, dafür umso glaubwürdiger durchgeführten, physischen Auseinandersetzungen. Da Pierre vordergründig so ruhig, beinahe antiklimatisch agiert, droht der Rest des überschaubaren Casts im direkten Kontrast fast zu hyperventilieren, was jedoch nicht ganz richtig ist. Stattdessen lässt Don Johnson mit ungemeiner Spielfreude das fiese Polizeichef-Arschloch raushängen und der ehemalige Kinderstar AnnaSophia Robb, bekannt unter anderem aus dem brillanten "Die Brücke nach Terabithia", ist sowohl als sympathischer Sidekick als auch als ein weiteres, emotionales Zentrum mit einer packenden Hintergrundgeschichte unverzichtbar.
Nach einer ungemein spannenden, ersten Stunde, die Saulnier mit einer ganzen Reihe von intensiven Momenten bepflastert, hängt "Rebel Ridge", sobald er im Mittelteil zu einer wenig originellen Detektiv-Geschichte verkommt, ein bisschen durch. Das macht aber wenig, da der Film selbst in diesen Momenten das Tempo hoch genug hält und den zentralen Kriminalfall, wenn dabei auch wenig Neues erzählt wird, packend genug schreibt, um keine Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen. Der erfrischend geringe Quotient an tatkräftiger Action ist dabei sogar richtig hilfreich, denn so kann sich das effizient geschriebene Drehbuch voll auf die wenigen Figuren konzentrieren und die Zuspitzung einzelner Szenen mit brillanter Dynamik versehen. Man weiß am Anfang einer Szene im Grunde nie, wie diese letztendlich ausgehen wird und immer wieder überrascht das Vorgehen der Figuren - auch da der im Fokus stehende Terry Richmond aus seinen ganz eigenen Fähigkeiten über weite Strecken ein spannendes Geheimnis macht. Nein, das ist wirklich ein richtig knackiger Thriller geworden, weswegen man nur hoffen kann, sowohl von Saulnier als auch von Aaron Pierre in Zukunft noch einiges zu sehen... solange die Qualität so gut bleibt wie hier, selbstverständlich.

Fazit: Die Regie ist gerade in der Zuspitzung diverser, hochspannender Szenen förmlich meisterhaft und der Hauptdarsteller ist eine grandiose Neuentdeckung. Auch wenn der zentrale Krimi-Plot nicht unbedingt originell daherkommt, ist die Umsetzung so packend, dass man Netflix für diesen eigenen Film endlich mal wieder nur gratulieren kann.

Note: 2-



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