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Was für ein Abstieg: Filmkritik zu "Abigail"

Sechs Kriminelle werden angeheuert, um die zwölfjährige Abigail (Alisha Weir) zu entführen und sie anschließend in ein entlegenes Herrenhaus zu bringen, wo sie vierundzwanzig Stunden mit dem Opfer warten sollen, bis das Lösegeld ihres schwerreichen Vaters eingetroffen ist. Wer der Vater des Mädchens ist? Das wissen die Entführer selbst nicht und wollen es auch nicht wissen - je mehr Informationen sie haben, desto schwieriger könnte die Sache am Ende nämlich werden. Schon bald merken die vier Männer und zwei Frauen jedoch, dass ihnen offenbar jemand ein Schnippchen geschlagen hat, denn in diesem Herrenhaus kommt es bald zu einer blutigen Tat... und eine Flucht scheint ab diesem Moment völlig unmöglich.

Ich habe zuvor praktisch nichts über "Abigail" gewusst und ich kann jedem, der eine Sichtung dieses Films in Betracht zieht, nur dazu raten, dies ebenso wie ich zu handhaben. Der Trailer spoilert das eigentliche Geheimnis des Films nämlich rigoros... und dieses kommt hier erst nach rund einer Dreiviertelstunde ans Licht. Hat man sich vorab über die genauen Geschehnisse informiert, entgeht einem dabei ein ungemein spaßiges Rätselraten rund um das, was in diesem Film eigentlich los ist. Und genau das ist der beste Teil eines daraufhin entsetzlich nachlassenden Werks, weswegen man sich eine Sichtung auch direkt sparen könnte, wenn man zuvor schon zu viel wusste. Zu Beginn war ich aber noch ziemlich vernarrt in die mysteriös gezeichneten Figuren, die voneinander möglichst wenig wissen wollen und deswegen auch für die Zuschauer angenehm ambivalent wirken. Ist der etwas zurückgebliebene Hüne in Wahrheit vielleicht doch ein eiskalter Killer? Und ist die süßlich wirkende Computertechnikerin womöglich doch viel schlauer, als sie zu sein vorgibt? "Abigail" spielt mit den Erwartungen des Publikums und macht das Miträtseln rund um die möglichen Hintergründe dieser Entführungsaktion zu einem hochspannenden Spaß.
Sobald diese Lösung dann auf recht originelle und (sofern man sich eben nicht informiert hat) überraschende Art und Weise präsentiert wurde, gehts jedoch deutlich bergab. Plötzlich häufen sich völlig banale Dialogzeilen, die in ihrer Dümmlichkeit richtig wehtun und auch die zuvor so charmant gezeichneten Figuren handeln mehr als einmal vollkommen out of character. "Abigail" wandelt sich mit einem Mal zu einem reichlich blutigen Slasher, der seine clever vertrackte Ausgangslage zugunsten einer echten Trash-Achterbahnfahrt über Bord wirft und sich nur mühselig zu einem überlangen Finale schleppt, während welchem die Klischees von allen Seiten kommen. Das Tempo hält der Film dann jedoch nicht mal angemessen hoch, sondern holt nur noch das Mindeste aus dem bereits verspielten Potenzial heraus, um irgendwie noch Konfliktstoff zu bieten. In Verbindung mit einigen reichlich miesen CGI-Tricks und falschen Fährten, die man meilenweit gegen den Wind riecht, ist das schon ein ziemlicher Let Down. Man hat das Gefühl, als wären beide Hälften dieses Films von völlig verschiedenen Autoren geschrieben worden - die eine von denen, die mysteriös und mit charmantem Witz eine schöne Horrorstimmung aufbauen... und die andere, die keine Ahnung mehr hatten, was sie erzählen wollen und deswegen einfach nur drauflos kloppen.
Diese dramaturgische Fehlsicht wirkt sich auch auf den Cast aus, der zu Beginn, wenn wir die Figuren noch nicht wirklich einschätzen können, deutlich vitaler wirkt als später. Immerhin ist "Lost"-Star Kevin Durand mit viel Freude bei der Sache und auch Melissa Barrera macht ihre Sache zum wiederholten Male ziemlich gut. Sie variiert die Gejagte mit düsterem Hintergrund, die sie schon in den letzten "Scream"-Filmen gab, zwar nur bedingt, geht in dieser Rollenart aber weiterhin durchaus solide auf. Der Rest chargiert hingegen bisweilen bis zum Umfallen, was mich ganz besonders bei Kathryn Newton schockiert hat. Ich habe Newton bislang in jedem ihrer Filme geliebt, weswegen ihr Aufstieg in Hollywood auch mehr als berechtigt ist... doch was sie hier tut, hat mit irgendeiner Form des guten Schauspiels nichts mehr zu tun. Keine Geste, kein Blick, keine lächerliche Dialogzeile wirkt hier auch nur ansatzweise gekonnt, weswegen der "Meisterdetektiv Pikachu"-Star plötzlich wie eine völlige Anfängerin auf den Spuren des Trash-Horrors daherkommt. Ob sie mit ihrer Rolle fremdelte oder dem Affen aus unerfindlichen Gründen viel zu viel Zucker geben wollte, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.

Fazit: Eine sehr spannende erste Hälfte und eine völlig banale zweite - macht in der Summe einen Film, der sein interessantes Potenzial (auch aufgrund der verhunzten Werbekampagne) nicht nutzen möchte und sich völlig verhebt.

Note: 4+



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