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Eine faszinierende Gang: Filmkritik zu "The Bikeriders"

Im Jahr 1967 lernt Kathy (Jodie Comer) in einer bierseeligen Spelunke den Draufgänger Benny (Austin Butler) kennen - nur fünf Wochen später heiraten sie. Die Beziehung zu Benny fordert jedoch viele Opfer, ist dieser doch angesehenes Mitglied in der Biker-Gang der "Vandals". Diese wird von ihrem Anführer Johnny (Tom Hardy) mit harter Hand geführt, wobei anfangs nur Schlägereien, Rasen und Pöbeleien auf dem Plan stehen, mit der Zeit aber auch brutalere Verbrechen begangen werden, sollte Johnny aufgrund eines Angriffs auf Rache aus sein. Kathy möchte sich von diesem bisweilen gefährlichen Leben, dem Benny voll und ganz verfallen ist, eigentlich distanzieren. Benny hingegen hat sich der Gang voll und ganz verschrieben. Mit der Zeit scheint Johnny aufgrund seines Führungsstils jedoch auch die Kontrolle über den Club zu verlieren...

Obwohl in Sachen Stil und Tonfall gänzlich anders, hat mich der Film von "Midnight Special"-Regisseur Jeff Nichols ein wenig an den ersten "The Fast and the Furious"-Streifen aus dem Jahr 2001 erinnert. Damals standen in der Reihe noch keine völlig überzeichneten Mega-Actionszenen gegen fiese Agenten auf dem Plan, sondern der Einblick in eine eigene kleine Welt, die für Außenstehende nur schwer zu greifen ist und dennoch eine Faszination ausübt, obwohl man höchstwahrscheinlich kein Teil von ihr sein will. So wie die Crew rund um den loyalen Dominic Toretto verhält es sich auch bei den "Vandals": Man verurteilt das, was sie tun und kann auch nicht sagen, dass diese brutalen Draufgänger sonderlich sympathisch wären. Doch das Zusammengehörigkeitsgefühl, die unbrechbare Loyalität zueinander und das Gefühl, zu einer echten Familie zu gehören, die einen so nimmt, wie man ist, das scheint hier deutlich durch. Und das übt dann durchaus eine gewisse Faszination aus, auch wenn man immer wieder schockiert und bisweilen gar abgeschreckt von dem ist, was diese Motorrad-Raser eigentlich tun. Denn dem extremen Alkoholismus, den Drogen, dem Sexismus und der Gewalt sind sie alle mehr oder weniger zugetan.
Obwohl man diese Menschen aufgrund ihres Verhaltens eigentlich nicht mögen sollte, dauert es nicht lange, bis man sich innerhalb dieser Gang wohlfühlt und echte Bindungen zu den Charakteren aufbaut. Da ist es mehr als hilfreich, dass man vor allem zu Beginn durch die Augen von Kathy einen Einblick in diesen kleinen Kosmos erhält, die ebenfalls noch mit reichlicher Skepsis ihre ersten Schritte bei den "Vandals" macht. So werden auch wir als skeptische Beobachter anfänglich abgeholt und langsam, ganz leise immer mehr in Richtung stiller Bewunderung geschoben. Das bedeutet nicht, dass man immer moralisch nachvollziehen kann, was die Gang tut - in den meisten Fällen tun sie das, was sie tun, aber aus den richtigen Gründen, wenn auch völlig ohne jegliches Maß. Und auch die Besetzung tut ihr Übriges, um diese rauen Gesellen einfach zu mögen. Tom Hardy geht natürlich immer und wie er hier nuschelnd, unter der inneren Ruhe seiner Lederjacke leise brodelnd, seine Mitmenschen beobachtet und analysiert, ist schlicht unmenschlich cool. "Elvis"-Star Austin Butler fungiert hingegen als emotionales Zentrum, während ihm gegenüber Jodie Comer als deutlichster Fixpunkt fürs Publikum da ist - beide überzeugen mit bravourösen, oftmals auch angenehm stillen Leistungen. Unter den Nebenrollen finden sich zudem auch weitere bekannte Namen wie Michael Shannon oder Norman Reedus (Daryl Dixon aus "The Walking Dead"), die immer wieder auch für wohltuenden, leicht schrägen Humor gut sind.
Ein großes Problem hat dieser ansonsten aber stilsicher inszenierte und packend geschriebene Film aber dennoch: Der im Fokus stehende Konflikt, welcher eigentlich das emotionsgeladene Zentrum darstellen soll, funktioniert in dieser Form nicht oder zumindest nur sehr bedingt. Denn nach ihrem Kennenlernen gibt es eigentlich nur noch Konflikte - ich kann mich rückblickend an keinen Moment erinnern, in welchem sich Kathy innerhalb des Treibens ihres Lebens wirklich wohlgefühlt hätte. So wird dann auch nicht ganz klar, was diese Beziehung überhaupt ist: Dass da Liebe ist, bemerkt man allenfalls auf der Behauptungsebene. Und da es am Ende natürlich auf den Kern dieser Beziehung hinauslaufen muss, die letztendlich bedroht wird, fällt es schwer, da noch emotional involviert zu sein. Dabei wäre genau dieser Punkt so wichtig gewesen, ihn passend auszuarbeiten. Denn obwohl "The Bikeriders" eine brillante, unaufdringliche Atmosphäre dieser Szene durch passende Bilder, einen starken Soundtrack und tolle Ausstattungs-Details erschafft, so braucht es diesen Plot, wenn Nichols nicht nur ein Fotobuch aus spannenden Eindrücken und Einzelszenen präsentieren will. Hier scheitert der Film, wenn auch auf sehr hohem Niveau, uns wirklich noch etwas zum verständlichen Mitfühlen zu bieten, da er den vorhersehbaren Konflikt nicht nachvollziehbar genug aufbaut und sich nur auf die finsteren, aber kaum auf die (ebenfalls für diesen Kontrast nötigen) hellen Momente verlässt.

Fazit: "The Bikeriders" lebt durch seine ungekünstelte Biker-Atmosphäre, den brillanten Cast und das schwer nachzustellende, hier aber praktisch durchweg spürbare Gefühl, in eine echte Szene einzutauchen, die ebenso faszinierend wie abschreckend ist. Der zentralste Konflikt wird dabei zugunsten von sehr viel Stimmungsmache aber leider etwas unwirsch angefasst.

Note: 2-



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