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Zwischen Obsession und Abscheu: Filmkritik zu "May December"

Die erfolgreiche Schauspielerin Elizabeth Berry (Natalie Portman) reist nach Savannah. Dort möchte sie Gracie Atherton (Julianne Moore) treffen und mehrere Tage bei ihr und ihrem Mann Joe (Charles Melton) verbringen, da sie Gracie in einem baldigen Filmprojekt darstellen soll. Tatsächlich ist Gracie nämlich eine verurteilte Sexualstraftäterin, da ihre Beziehung zu Joe als Affäre begann, als dieser gerade mal dreizehn Jahre alt war. Der Verfilmung des Stoffs möchte Elizabeth in der Hauptrolle einen neuen Verve, eine so noch nicht gesehene Seite Gracies abwinden, die so nicht in der Klatschpresse zu erkennen war, weswegen sie nicht nur mit Gracie und Joe, sondern auch mit vielen Bekannten aus deren Lebenskreisen sprechen möchte. Mit der Zeit scheint Elizabeth sich jedoch in dem turbulenten Leben der beiden zu verlieren und kaum noch unterscheiden zu können, ob sie diese Recherche für die Kunst oder für ihre eigene Neugier betreibt...

Hier buhlen drei brillante Schauspieler*innen zugleich um die Gunst des Publikums und drei ebenso faszinierende wie undurchsichtige Charaktere, die man ebenso hassen wie bemitleiden kann, wollen von uns erkannt und durchleuchtet werden. In zwei von drei Fällen gelingt dies absolut prachtvoll: Natalie Portman gibt hier eine ungemein schwer zu durchschauende Version einer leidenschaftlichen Schauspielerin, bei der man bis zum Ende nie genau weiß, ob sie tatsächlich mit großer Sensibilität in das Leben des Ehepaares eindringt, um Verständnis und Genauigkeit abliefern zu können... oder ob es doch großes, manipulatives Kalkül ist, um zuvorderst sich selbst mit einer großartigen, schauspielerischen Leistung zu adeln. Portman's Elizabeth Berry tänzelt dabei ungemein beeindruckend zwischen geschockter Teilnahme über tierischer Abscheu bis hin zu einer kaum zu haltenden Faszination für die Taten der Frau, die sie porträtieren soll... oftmals ist es für den Zuschauer kaum noch erkennbar, ob sie sich der Obsession des Verbotenen nur als Schauspielerin und Künstlerin oder auch als Privatperson hingeben will, um ihre eigenen Grenzen zu erfahren. Eine weitere 1A-Performance der für "Black Swan" oscarprämierten Schauspielerin.
An zweiter Stelle und mindestens ebenso faszinierend, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen, agiert "Bad Boys For Life"-Star Charles Melton. Er spielt einen jungen Mann, der praktisch keine Kindheit mehr gehabt hat, sich mit dem jetzigen Leben als junger Vater von erwachsenen Kindern aber eigentlich arrangiert zu haben scheint. Mit der fortschreitenden Laufzeit bröckelt diese Fassade jedoch mehr als einmal und mit der Zeit scheint auch er zu verstehen, was das Publikum von außen ihm schon mehrfach hat zurufen wollen: Du magst mittlerweile erwachsen sein, was aber nicht heißt, dass du nicht immer noch ein Opfer der Taten bist, die du in der Vergangenheit erlebt hast, als du sie nicht hast verstehen können. Melton ist brillant, was auch einer klaren Entscheidung der Regie zu entnehmen ist. Denn auf dem Regiestuhl betet Todd Haynes uns die moralischen Entscheidungen nicht vor, sondern lassen uns selbst entscheiden, auf wessen Seite wir wie stehen wollen. Das führt uns beinahe selbst in den Dunstkreis, hier benutzt und manipuliert zu werden. Am Ende mag der überforderte und selbst noch beinahe jugendliche Joe die moralische Instanz sein, ist dabei aber die unsicherste, weil völlig mit sich und den Menschen in seinem Umfeld hadernde Säule, die es entweder zu kippen oder noch viel mehr zu stützen gilt.
Aus dem schauspielerischen Glanztrio wäre es nun falsch zu behaupten, dass Julianne Moore am wenigsten auffallen würde. Ganz im Gegenteil sogar: Moore legt ihre mit dem Opfer verheiratete Sexualstraftäterin als förmlichen Wust als schrägen Manirismen an. Und das ist ein wenig die Krux zu den anderen Charakteren, die bei all ihrer Undurchsichtigkeit immer noch ein interessantes Geheimnis bleiben. So wirkt dieses leicht Schräge, dieses Fiese, dieses zu Offensichtliche nicht so recht glaubwürdig und Moore muss immer wieder aufpassen, dass sie im Vergleich mit den wesentlich mehr ruhenden Melton und Portman nicht zu arg überzeichnet. Und obwohl sich an ihrem Charakter jede Menge stößt, so bleibt dieser dennoch etwas zu simpel, denn mehr als eindeutig ist sie das Böse in dieser Geschichte, was der Plot im weiteren Verlauf immer noch deutlicher klarmacht. Das passt zu jeder moralischen Instanz, macht ihre Gracie Atherton im Vergleich zu den anderen beiden Hauptfiguren aber auch weniger interessant, da es keine Grauzonen zu geben scheint. Sie muss zwar ebenfalls mit sich und vor allem den äußeren Umständen kämpfen, verbleibt dabei jedoch eher auf der düsteren Seite des Narzissmus und des Selbstmitleid, was es zwar leicht macht, diese Frau zu verurteilen, darüber hinaus aber schwierig macht, weitere, komplexe Verhaltensweisen in ihr zu erkennen, die über gewisse, schräge Muster hinausgehen, denen sie verfällt.

Fazit: Portman und Melton spielen bravourös in einem fordernden und inszenatorisch bemerkenswert unruhigen Film, der uns unsere eigenen moralischen Instanzen immer wieder hinterfragen lässt. Mit einer etwas zu durchsichtig-schrägen Performance bleibt ausgerechnet Julianne Moore aber ein Stück weit hinter ihren Kolleg*innen zurück.

Note: 2-



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