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Alter weißer Mann

In seiner Firma hat Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) deutlich damit zu kämpfen, mit dem Zeitgeist zu gehen... obwohl er das doch so gerne möchte! Er setzt sich für Inklusion, Diversität, gendergerechte Sprache und gegen Vorurteile voll ein, kann aber dennoch nicht ganz aus seiner Haut und stolpert dabei immer wieder über die Fallstricke eines Zeitgeschehens, welches er so noch richtig lernen muss. Das bringt ihn sogar in die Bredouille, als er droht, sich damit eine geplante Beförderung zu verbauen, da er sich nach einem Missverständnis mit einer Vorgesetzten völlig um Kopf und Kragen redet. Ein Dinner bei Heinz zuhause soll die Wogen wieder glätten und aufzeigen, dass er ganz und gar nicht rassistisch veranlagt ist - weswegen seine Frau Carla (Nadja Uhl) bloß kein deutsches Gericht, sondern eine vietnamesische Köstlichkeit zaubern soll, während Tochter Lina (Moma Beier) dazu angehalten wird, doch bitte ihren Schwarm Mo (Leon Ndiaye) einzuladen, um die doch arg weiße Familie ein wenig diverser zu gestalten...

Obwohl ich Simon Verhoevens Filme zu weiten Teilen mochte, war ich hier doch anfangs noch mehr als skeptisch: Ein (zumindest älterer), weißer Regisseur macht einen Film über die Probleme eines alten, weißen Mannes, der über den Zeitgeist, die Diversität und neue Gepflogenheiten und politische Diskussionen stolpert. Das hätte ganz und gar eine völlig unpassende Wuttirade werden können, die den weißen Herrn am Ende als Opfer einer banalen Gesellschaft zeichnet... und mir wäre dann sicherlich die Kotze hochgekommen. Ein solcher Film ist "Alter weißer Mann" aber glücklicherweise nicht geworden. Stattdessen bringt er einerseits zwar durchaus Verständnis für den armen Heinz auf, der es doch nur allen recht machen und sich wirklich ernsthaft für Diversität und Offenheit in seiner Firma einsetzen will, aber die typisch deutschen Eigenschaften seiner Erziehung auch nicht so einfach ablegen kann. Das macht aus Heinz einen ebenso ambivalenten wie sympathischen Charakter, der von Jan Josef Liefers höchst überzeugend dargestellt wird, und den man manchmal gern hat, sich aber auch mehrfach für ihn schämt. Die meisten von uns dürften in ihm einige Menschen aus unserem persönlichen Umfeld wiedererkennen. Umso schöner, dass sich Verhoeven dann weder auf die eine noch auf die andere Seite stürzt, um sie tunlichst auseinanderzunehmen, sondern zu einem feinen Pakt kommt: Wir alle machen Fehler, was in Ordnung ist. Und beide Seiten übertreiben oder überzeichnen zumindest ab und an, weswegen es in Ordnung ist, sich in der Mitte zu treffen oder zumindest über sensible Themen auch mal angemessen zu diskutieren, selbst man wenn man zu keiner absoluten Einigung kommt.
Verhoeven geht dabei jedoch nicht nur sensibel vor, sondern nutzt vor allem Humor, um über diese Themen zu diskutieren. Hier und da hat er sich bisweilen etwas zu viel aufgeladen: Es wirkt manchmal so, als hätte er eine Checkliste mit allen politischen Themen vorbereitet, die Deutschland momentan tangieren, um diese dann nach und nach abzuarbeiten. Das wirkt dann reichlich überfüllt, wenn zudem auch noch persönliche, familiäre Geschichten dazukommen, wobei jedes Familienmitglied der Hellmichs (und das sind eben gleich mal sechs) auch noch sein eigenes Drama abbekommt, welches in dieser Form ausformuliert werden muss. Meistens zieht sich der Film aber gut aus der Affäre und macht aus keiner Figur (abgesehen von der des kleinkarierten Vorgesetzten) ein Klischee. Das ist angenehm zu sehen, ist streckenweise witzig und oftmals belehrend, ohne dabei aber den strengen Zeigefinger zu heben. Im Mittelteil gerät "Alter weißer Mann" jedoch deutlich aus dem Takt, wenn beispielsweise eine Reise der Hauptfigur in eine andere Stadt ansteht, wobei der generelle Plot dann fast völlig stillsteht. Immerhin wird im Anschluss noch ein turbulentes Finale mit zahlreichen zuvor eingeführten Figuren geliefert, die nun passend aufeinander losgelassen werden - das macht dann, neben einigen einfühlsamen Momenten, richtig Spaß.
Jan Josef Liefers macht seine Sache in der Hauptrolle wie bereits gesagt großartig, doch das Salz in der Suppe sind (wie in vielen deutschen Komödien) auch hier die Nebenfiguren. Neben einer ganz starken Nadja Uhl stechen da vor allem zwei heraus, die als Heinz' Vorgesetzte fungieren und dabei unterschiedlicher nicht sein könnten. Michael Maertens darf dabei als ekelhafter Arschloch-Chef echte "Stromberg"-Vibes versprühen, während Yun Huang als neue Teamchefin auf einem gänzlich anderen Gleis fährt: Sie braucht kaum Worte, sondern im Grunde nur einen eisigen Blick mit einem kleinen Lächeln, damit man sich auf der anderen Seite des Tisches ganz klein fühlt... und das auch zurecht, denn ihre Lian Bell erweist sich als eine der cleversten und korrektesten Figuren des Films. Mehr als erwähnenswert auch der Auftritt des großen Friedrich von Thun, der als überforderter Opa der Familie im Grunde nur noch damit beschäftigt ist, neue politische Begriffe zu erlernen und herauszufinden, was an seinem letzten Kommentar denn nun schon wieder so falsch war. Und dann ist mit "Fack Ju Göhte"-Star Elyas M'Barek auch noch eine der Allzweckwaffen für deutsche, freche Comedy dabei, der in seiner Rolle als aalglatter Marketing-Experte zwar gehörig chargieren muss, aber immer wieder auch für ein paar feine Gags gut ist.

Fazit: Trotz einer deutlichen Zerfaserung aufgrund einer deutlichen Übersättigung mit viel zu vielen Themen ist "Alter weißer Mann" ebenso witzig wie clever, wobei der Verzicht, sich auf eine Seite zu schlagen, besonders gut gelungen ist. Stark besetzt, mit feinen Dialogen ausgestattet und dabei angenehm progressiv, ohne mahnend zu sein: Mit etwas mehr Konzentration auf die wesentlichen Punkte hätte hier eine noch bessere Komödie herausspringen können.

Note: 3



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