Der in einer Buchhandlung arbeitende Carl Kollhoff (Christoph Maria Herbst) hat seine Bücher um sich gebaut wie eine Mauer. Er flüchtet sich gern in fremde Welten und gibt den Kunden, denen er aus einem Rucksack bestellte Bücher persönlich an die Haustür liefert, sogar Namen von Romanfiguren, um diesen ansonsten nicht näher zu kommen und ohnehin keinerlei Beziehungen aufbauen zu müssen. Doch auf einmal läuft die neunjährige Schascha (Yuna Bennett) neben ihm und möchte ihn auf seinen täglichen Routen begleiten, stellt neugierige Fragen und geht sehr offenherzig, nahezu stürmisch mit dem zurückgezogen lebenden Klientel um. Carl möchte das kleine Mädchen erst vertreiben, erkennt jedoch mit der Zeit, dass sie ihm Türen zu Menschen zu öffnen versucht... und das er genau diesen Schubs hinaus aus seiner eigenen Tür brauchen könnte, um wieder ein Herz abseits seiner eigenen, sicheren Welt zu fassen.
Regisseur The Chau Ngo findet hier in eine sehr stilsichere Balance zwischen schrulliger Altmodigkeit und aktuell wichtiger Neuerzählung, wenn er zwei völlig unterschiedliche Charaktere gegenüber stellt, die jedoch zwei Sachen verbindet. Einerseits natürlich die Liebe zu Büchern - eine Liebe, die bei anderen Menschen immer mehr aus der Mode zu kommen droht. Andererseits eine Einsamkeit, die in beiden Leben Einzug gehalten hat, womit beide aber jeweils völlig anders umgehen. Daraus entsteht ein sehr bewegendes Duo, welches vor allem deswegen so funktioniert, da das Drehbuch auf altkluge Kommentare ebenso verzichtet wie auf junge Besserwisserischkeit und deswegen angenehm unaggressiv ist. Und natürlich hat das Gelingen auch etwas mit dem Casting zu tun. Dass "Der Vorname"-Star Christoph Maria Herbst seine Sache vorzüglich machen würde, war ohnehin klar und so verleiht er seinem Carl Kollhoff den erwartbaren, kauzigen Charme, aber auch eine tiefe Melancholie, die aus seinem angenehm leisen Spiel greifbar wird.
Ihm gegenüber sehen wir dann eine junge Entdeckung namens Yuna Bennett, die durch ihr sehr natürliches Spiel einen enormen Eindruck hinterlässt und ihrem erfahreneren Spielpartner mindestens ebenbürtig ist - Herbst muss sich dabei bisweilen sogar anstrengen, damit Bennett ihm hier nicht den Rang abläuft. Auf den Nebenschauplätzen sind zwar ebenfalls noch einige bekannte Namen zu erhaschen, die jedoch weniger Raum bekommen, um wirklich zu glänzen... auch weil das Drehbuch die fiese Bibliothekarin oder die auf Rechtschreibung versessene, ehemalige Deutschlehrerin immer wieder als etwas unpassende Karikaturen zeichnet. Einer sticht aus diesem durchaus bunten Treiben aber noch einmal gesondert hervor: Ronald Zehrfeld fällt als Schaschas grimmiger Vater, der erst lernen muss, mit seinen eigenen, völlig versteckten Gefühlen umzugehen, eine echte Sonderrolle zu, da dieser neben seiner Filmtochter das schlagende Herz des Werks ist... und dabei vor allem gegen Ende mit einigen ebenso leisen wie brillanten Auftritten wahnsinnig rührt.
The Chau Ngo verpackt diese tollen Darstellerleistungen und die generell bewegende, wenn auch bisweilen arg kitschige Geschichte, in wunderschöne Bilder, wobei immer wieder ein leichter, altmodischer Fantasy-Touch durchscheinen will: Das zentrale Dorf, in welchem der Film spielt, erinnert immer wieder an ein alteingesessenes, mittelalterliches Völkchen mit einigen zutiefst kauzigen Bewohner*innen. Im Mittelteil hängt "Der Buchspazierer" dann leider ein bisschen durch, nachdem die aufgebaute Freundschaft zwischen Carl und Schascha einige vorhersehbare Höhen und Tiefen durchmachen muss. Generell bleibt die Grundstimmung dabei aber höchst sympathisch, ohne zu sehr den belehrenden Zeigefinger in die Luft zu strecken... und Raum für ein paar trockene Witze ist dabei dank Herbst auch immer wieder. Das reicht dann zwar nicht für einen ganz großen Wurf, aber für einen rundum schönen, sensiblen und aufgeweckten Film, der ans Herz geht und immer wieder auch ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubert.
Fazit: Herbst und Bennett, vor allem aber auch Zehrfeld agieren großartig und haben eine wunderbare Chemie miteinander, die dann auch über ein paar Durchhänger im Mittelteil hinweghilft. Insgesamt eine rührende Geschichte mit dem Herz am rechten Fleck und ein wenig kauzigem Humor, bei der sich eine Sichtung durchaus lohnt.
Note: 3+
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