Im Jahr 1991 reist die US-amerikanische Journalistin Ruth (Lena Dunham) nach Warschau. Sie hat dort eine Reise für sich und ihren Vater Edek (Stephen Fry) geplant, der in Polen aufgewachsen ist und nun seit vierzig Jahren nicht mehr dort war. Während Ruth unbedingt die Geschichte ihres Vaters aufarbeiten möchte, der während des Holocausts seinen Aufenthalt in Auschwitz überlebt hat, scheint dieser sich von Anfang an querzustellen. Er beginnt sogar damit, ihre strengen Reisepläne zu torpedieren, indem er spontan andere Routen wählt oder die gebuchte Zugfahrt gegen die Reise mit einem Taxi austauscht. Ruth passt das gar nicht, doch mit der Zeit erkennt sie, dass hinter der so fröhlich-offenen Fassade ihres Vaters eine regelrechte Angst vor der Vergangenheit herrscht...
Nicht nur ein wenig erinnerte mich dieser Film an "A Real Pain", den ich erst vor einigen Wochen gesehen habe und der für mich einer der besten Filme der letzten Jahre war. Hüben wie drüben reisen zwei Familienmitglieder, die sich eigentlich auseinandergelebt haben, nach Polen, um dort ihre Familiengeschichte aufzuarbeiten. Sogar einen Besuch in den Vernichtungslagern Auschwitz als sehr, sehr belastenden Höhepunkt gibt es. Mit der Zeit fallen jedoch die Unterschiede auf, die sich besonders an der Figur des Edek ausmachen lassen. Denn dieser lebte früher tatsächlich in Polen und gehörte zu den Millionen Juden, die nach Auschwitz transportiert wurden, um dort ermordet zu werden. Als Überlebender des Massenmords ist es für ihn nun wie eine Wiedererweckung einer Vergangenheit, die er dringend verdrängen wollte, als er dorthin zurückkehrt. Die Momente, in denen klar wird, warum sich Edek so sträubt, sind im Grunde ebenso vorhersehbar wie zielsicher und zeigen das wahre Herz von "Treasure" mit ungestellter Wucht auf.
Zuvor hat man über weite Strecken eher den Eindruck, einer leisen Komödie mit zwischenzeitlichen, dramatischen Einschüben zuzusehen. Die problematische Beziehung zwischen Vater und Tochter ist dabei klug beobachtet - beide Seiten haben gleichermaßen Recht und Unrecht, keiner von ihnen wird als perfekte Heldin oder Held ihrer Geschichte gezeichnet. Dabei entstehen natürlich einige komische Szenen, wenn der so spontan agierende und schnell mit jedem Fremden Freundschaft schließende Edek auf die streng durchgetaktete Persönlichkeit seiner Tochter trifft. Beide verstehen ihr Gegenüber kaum, versuchen sich aber dennoch irgendwie zu erklären. Leider wohnt vielen dieser Szenen, in denen sich Vater und Tochter über ihr Leben unterhalten und gewisse Vorbehalte diskutieren und aufklären, eine Art der Übererklärung inne, bei welcher der mahnende Zeigefinger bezüglich sozialen Lebens zu hoch und zu oft gehoben wird. Das nimmt dem Werk ein wenig von seinem eigentlich leichtfüßigen Charme.
Blickt man dann jedoch in die Augen von Stephen Fry, sobald dieser sich selbst eingestehen kann, was seine Vergangenheit für Narben hinterlassen hat, kann man sich in dessen Charakter nur verlieben. Fry gibt dem Film eine dramatische, doch durchweg ungekünstelte Note - er ist ein Widerspruch in sich, der ebenso große Mauern um sich gezogen hat wie seine Tochter, nur in völlig anderem Maße und aus anderen Gründen. Fry und Lena Dunham spielen sich gegenseitig passend die Bälle zu und gefallen vor allem aufgrund der leisen Töne, die sie anschlagen dürfen. Wenn mal keine erklärenden Worte notwendig sind, sondern die psychischen Dilemmata der angeschlagenen Ruth ohne Textzeilen, aber mit aussagekräftigen Bildern dargelegt werden, ist das zugleich großes und ganz kleines, dramatisches Kino. Dabei gefällt der Konflikt zwischen Tochter und Vater noch ein wenig mehr als die ebenfalls bewegende, so aber schon oft gesehene Aufarbeitung des Holocausts, für den hier keine neuen Bilder mehr gefunden werden können als die des wahren Schreckens, der uns alle, auch wenn wir zum Glück nicht dabei waren, ewig verfolgen wird.
Fazit: "Treasure" erhebt den moralischen Zeigefinger zu oft, was in bisweilen arg erklärenden Dialogen offensichtlich wird. Dank des stimmigen Casts, einiger bewegender Momente und einer gewissen Leichtfüßigkeit innerhalb des düsteren Familienkonflikts, wirkt der Film dennoch nach.
Note: 3
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