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Toxic Town

Nach der Schließung eines großen Stahlwerks in der englischen Kleinstadt Corby soll das Gelände von allen gefährlichen Giftstoffen gesäubert werden, um die Anlage für neue Bauten dingfest zu machen. Dies geschieht in der Mitte der 90er Jahre. Zeitgleich erwartet die Mutter Susan McIntyre (Jodie Whittaker) ihr zweites Kind und auch die ebenfalls in Corby wohnhafte Tracey Taylor (Aimee Lou Wood) ist mit ihrem ersten Kind schwanger. Beide Kinder werden jedoch mit körperlichen Deformationen geboren - Tracey's Tochter besitzt ein kaputtes Ohr, während Susans Sohn mit einer deformierten Hand geboren wird. Wie durch einen Zufall erfährt Susan später von weiteren Müttern, deren Kinder deformiert geboren wurden... und nun glaubt sie nicht mehr an einen Zufall. Ihre Recherchen führen sie zu dem mittlerweile vollständig geräumten Stahlwerk und die zweifache Mutter vermutet nun, dass hinter den rasch durchgeführten Aufräumarbeiten noch deutlich mehr steckte.

Netflix macht so viele Serien und Mini-Serien, dass man unter ihnen schnell den Überblick verlieren kann. So war ich mir der Existenz von einer vierteiligen Mini-Serie namens "Toxic Town" bis vor wenigen Tagen gar nicht bewusst... obwohl diese erst im Februar 2025 das Licht der Welt erblickte. Dabei stieg sie jedoch nur auf Platz sechs in den Charts des Streaming-Giganten ein und blieb so recht deutlich hinter anderen Originalen zurück. Völlig zu Unrecht, wie man hier anbringen muss, denn Netflix gelingt es auf seinem besten Terrain, jenem der realen Skandale in unserer Welt, erneut eine echte Meisterleistung darzubringen. Dabei nehmen sie sich den so tatsächlich vorgefallenen Skandal in der Kleinstadt Corby, drehen noch ein bisschen mehr an der Spannungsschraube und fiktionalisieren einige Figuren und Begebenheiten (was die Macher im Gegensatz zum in dieser Hinsicht etwas schwer zu durchschauenden "Rentierbaby" aber auch gleich zugeben) und klöppeln sich dabei einen hochspannenden Mix aus Drama und Tatsachenbericht zusammen, der von Anfang bis Ende mitreißt.
Es ist dabei das eine, sich auf eine Geschichte zu stürzen, die schon auf dem Papier absolut unglaublich und dramatisch klingt und dabei beweist, dass unsere Realität manchmal einfach die spannendsten und bewegendsten Geschichten erzählt. Aus eben diesen realen Begebenheiten aber auch noch richtig gute Drehbücher zu verfassen, die neben den schockierenden Fakten auch noch spannende Figuren, eine stimmige Dramaturgie und überraschende, aber niemals effekthascherische Wendungen bereit halten, kommt dann einem Kunststück gleich. Ein Kunststück, welches den Autoren durchaus gelungen ist, denn wenn einer der wenigen Kritikpunkte darin besteht, dass man von einer Serie eigentlich mehr sehen möchte (tatsächlich sind diese vier Folgen viel zu wenig, weswegen man bisweilen das Gefühl hat, dass wichtige Eckpunkte übersprungen werden), dann heißt das, dass man hier eine richtig gute Show zu sehen bekommt. Das einzige, was man "Toxic Town" dahingehend nachhalten könnte (sofern man das denn will), ist, dass die Show im direkten Vergleich zu anderen Serien über reale Justiz-Skandale kein starkes Alleinstellungsmerkmal hat. Die Serie ist inszeniert, geschrieben und dramaturgisch geplottet wie viele andere Shows mit ähnlichen Themen und Grundsätzen. Doch das muss nichts heißen, wenn einem trotz dieser altbekannten Manirismen dennoch packende und vor allem auch emotionale Unterhaltung bis zum bitteren Ende geboten wird.
Maßgeblich für eben jene emotionale Power verantwortlich ist auch ein Cast, vor dem man einfach nur niederknien möchte. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, aus diesem illustren Ensemble von echten Könnern wie dem großen Robert Carlyle oder "Game of Thrones"-Star Joe Dempsie Namen hervorzuheben. Bei dreien möchte ich es dennoch versuchen. An vorderster Front ist da natürlich Jodie Whittaker zu benennen, die als klare Hauptfigur der Erzählung eine grandiose Performance hinlegt - nie um einen richtig guten Spruch verlegen, kämpferisch, unermüdlich und letztendlich dennoch tief getroffen von ständigen Rückschlägen. Und auch Rory Kinnear, der als Anwalt mit Herz und Hirn, der dennoch auch einige wahnsinnig schwierige Entscheidungen treffen muss, erst später in die Handlung eingreift, diese dann jedoch mit einer sensiblen und auf den Punkt genau austarierten Darstellung maßgeblich beeinflusst. Den stärksten Eindruck in einem ohnehin bis in die kleinsten Nebenrollen herausragend besetzten Ensemble hinterlässt dann jedoch Aimee Lou Wood. Die junge Schauspielerin gehörte bereits im Cast der Netflix-Hit-Show "Sex Education" zu den stärksten (was bei dem Ensemble wirklich etwas heißen mag), hier rührt sie das Publikum mit ihrer einfühlsamen Performance, ständig von einer Hölle bis zum nächsten Lichtblick getrieben, zu Tränen. Hätte diese Show die nötige Aufmerksamkeit erfahren, wäre dies Wood's endgültiger Durchbruch gewesen.

Fazit: Emotional aufwühlendes, hochspannendes und grandios gespieltes Serien-Kino nach wahren Begebenheiten, welches nicht nur durch seine ohnehin unglaubliche Geschichte, sondern auch durch die passende Komprimierung und Dramaturgie bestens unterhält und bewegt.

Note: 2



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