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Adolescence

Die Familie Miller fällt eines frühen Morgens aus allen Wolken, als schwer bewaffene Spezialeinheiten der Polizei ihr Haus stürmen und den dreizehnjährigen Sohn Jamie (Owen Cooper) unter dem Verdacht des Mordes festnehmen und aufs Polizeirevier bringen. Der leitende Ermittler Detective Bascombe (Ashley Walters) hat dabei die schwierige Aufgabe, auf das schwere Verbrechen zu reagieren und gleichzeitig das verdächtige Kind zu schützen und zudem die Eltern des Jungen zu beruhigen. Schnell stellt sich heraus, dass die Beweise gegen Jamie mehr als erdrückend sein müssen und dass es aus diesem Alptraum so schnell kein Erwachen geben wird. Jamie hingegen beteuert seine Unschuld und möchte von den Anschuldigungen gegen ihn nichts wissen... 

Die vierteilige, britische Miniserie, die seit rund einer Woche auf dem Streamingdienst Netflix zu finden ist, zieht von Beginn an in den Bann, was vor allem an dessen Inszenierungsstil liegt: Jede Folge ist dabei als eine einzige Plansequenz inszeniert, die ohne einen sichtbaren Schnitt erfolgt und daher von einer nahezu gezwungenen Dynamik gezeichnet ist. Gerade die ersten beiden Episoden, die immer wieder verschiedenen Figuren auf den Wegen durch größere Gebäude folgen, sind in ihrem Tempo schlichtweg unnachahmlich, wobei die erste Episode mit ihrer haargenauen Rekonstruktion einer Festnahme und eines Verhörs in Echtzeit unglaublich packend daherkommt. Dabei ist nicht nur der Blick hinter die Kulissen einer solchen Ausnahmesituation auf verschiedenen Ebenen hochspannend - auch der emotionale Druck auf allen Charakteren wird durch die Bank weg hervorragend transportiert. In den beiden späteren Folgen wird der Kreis der Figuren kleiner, die Szenen intimer und deswegen noch um ein vielfaches belastender - besonders die dritte Folge sorgt mit ihrer ungemein angespannten Atmosphäre praktisch für ein durchgehendes Gefühl des Unwohlseins.
Natürlich hat ein solcher Inszenierungsstil auch seine Grenzen - man spürt besonders in der letzten Folge, dass ein wenig Füllmaterial erschaffen werden musste, um die Handlungen darin ohne Schnitt darstellen zu können. Zudem funktioniert diese Folge als Finale der Serie auch nur bedingt, so wie generell die ganze Serie einen etwas runderen Handlungsbogen vermissen lässt. Jede Folge ist in ihrer inneren Dramaturgie ein grandioses Kunststück für sich, zusammen gesehen hinterlassen sie jedoch einige Lücken und dürften manche Teile des Publikums mit vielen offenen Fragen und einigen recht unwirsch abgeschnittenen Handlungen verärgern. Das ist etwas schade, da ich von einigen Figuren gerne noch ein bisschen mehr gesehen hätte und ihre Geschichten an einem Punkt enden, an dem man eigentlich noch kein Ende für sie erwartet hat. Zwar gibt es momentan bereits Gerüchte über eine Fortsetzung der Geschichte, doch auch diese könnte unpassend wirken, handelt es sich bei dieser Story doch nicht um eine, die man sich als Fortsetzungsgeschichte vorstellen kann. Dafür ist sie zu düster, in ihrem eigenen, kleinen Komplex zu durchdacht und letztendlich auch mehr Kunstwerk als geradlinige Erzählung - vor allem auf psychologischer Ebene.
Eine solche Geschichte in diesem fordernden Inszenierungsstil darzubieten, ist eine Kunst für sich - eine Kunst, die es dem Publikum bisweilen sehr schwer macht, das hier Gesehene wirklich fassen zu können. Nicht wenige dürften angesichts der hohen, psychischen Belastung der Geschichte bald aufgeben, denn was Netflix hier auffährt, ist abseits jeder Krimi-Dramaturgie wirklich harter Tobak. Harter Tobak, der darüber hinaus von einem durchweg fantastischen Ensemble getragen wird, welches seine Sache fantastisch gemacht. Da wäre einerseits "Rocketman"-Star Stephen Graham als völlig desillusionierter Familienvater, der hier ein paar ganz große Brocken verkraften muss; aber auch ein ebenso sympathisches wie glaubwürdiges Ermittler-Duo, welches genau die richtige Balance aus emotionaler Abhängigkeit durch einen mehr als aufwühlenden Fall und leichtfüßiger Arbeitsmoral trifft. Die großen, schauspielerischen Höhepunkte warten dennoch in der dritten Folge, wenn Kinderstar Owen Cooper und "Firebrand"-Star Erin Doherty in einer grandiosen Episode aufeinandertreffen und ein Schauspielduell zum Besten geben, welches man in solch einer intensiven Form nur ganz, ganz selten sieht.

Fazit: Alle Schwächen, die diese Serie hat, fußen auf grandiosen Ideen und Arbeiten. So ist der Inszenierungsstil unglaublich dynamisch, sorgt aber auch für das Aufzeigen von dessen Grenzen. Und die einzelnen Episoden sind an und für sich Kunstwerke, lassen aber eine etwas rundere Erzählung als ganze Staffel vermissen. Insgesamt schauspielerisch wertvoll, emotional und psychologisch ungemein fordernd und mit einer fantastischen Regie und deswegen bereits mehr als sehenswert, nur leider nicht ganz rund.

Note: 3+



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