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Dichtes, aber auch arg langes Regie-Debüt: Filmkritik zu Netflix' "Reptile"

Der erfolgreiche und als knallharter Ermittler bekannte Detective Nichols (Benicio Del Toro) wird mit einem Fall betraut, den er so eigentlich nicht haben wollte: Die Immobilienmaklerin Summer Elswick (Matilda Lutz) wird in einem Haus, welches sie an diesem Abend einigen Interessenten zeigen wollte, brutal ermordet. Nichols und sein Partner Dan Cleary (Ato Essandoh) hängen sich als erstes an Summers Freund Will Grady (Justin Timberlake), doch dessen Alibi scheint stichhaltig. Als Nichols weiter nachbohrt, erkennt er, dass sich viele potenzielle Verdächtige in Summers Dunstkreis tummeln, da diese manch einen Feind gegen sich aufgebracht hat. Noch rechnet er allerdings nicht damit, dass er mit seinen weitschweifenden und genauen Ermittlungen in ein Wespennest stechen wird...

Das Regiedebüt des einstigen Musikvideo-Creators Grant Singer kann sich bei Netflix durchaus sehen lassen. Singer erschafft durch stimmige Aufnahmen eine düstere und schneidende Atmosphäre, die sich in kleinen und größeren Momenten entfaltet und immer wieder ein Gefühl des Unwohlseins breitmachen lässt. Dabei geht er angenehm geerdet vor: Gerade die wenigen Schusswechsel fühlen sich in ihrer Härte, ohne jegliche Effekthascherei, sehr rabiat an und zeigen auf, dass das Niederstrecken eines bewaffneten Feindes keine glorreiche Tat ist, nach welchem der Schütze einfach seine Waffe einsteckt und locker-fröhlich seiner Wege geht. Hin und wieder gehen die Pferde mit Singer zwar ein wenig durch, wenn er selbst weniger wichtige Szenen noch mit einer wuchtigen Atmosphäre durchziehen will, was ein wenig überzeichnet daherkommen kann. Insgesamt lässt sich an seiner beinahe intim anmutenden und durchaus schnörkellosen Regie aber nichts aussetzen.
Noch ein bisschen mehr als Singers Film ist dies jedoch das Werk von Benicio Del Toro - der agiert hier nicht nur als Hauptdarsteller, sondern war auch als Produzent beteiligt und schrieb am Drehbuch mit. Dass Del Toro dieser Stoff gefiel, ist dem "Sicario"-Star durchweg anzumerken und ohnehin agieren nur wenige Stars als leicht klischeehafter, abgehalfteter Cop noch so cool und glaubwürdig wie er. Wobei er gar nicht so klischeehaft ist, denn die übliche "düstere" Seite des ansonsten moralisch einwandfreien Gesetzeshüters kommt nicht so aggressiv daher und gerade im Zusammenspiel mit den Nebenfiguren wirkt sein Nichols durchaus originell. Das ist dann auch der Verdienst von Ato Essandoh auf der einen Seite, der Nichols' Partner mit einer angenehmen, aber wenn nötig auch zurückhaltenden Präsenz gibt - man nimmt beiden sofort die langjährige Zusammenarbeit ab. Und auf der anderen Seite auch das Lob für Alicia Silverstone, bei der man sich ohnehin freut, dass sie mal wieder in einer prägnanten Rolle innerhalb einer größere Produktion zu sehen ist. Als Film-Ehefrau Del Toros ist sie ihm tatsächlich absolut ebenbürtig und die gemeinsamen, niemals kitschigen Szenen zwischen den beiden sprühen sowohl Funken als auch ziemlich viel beruflichen Esprit.
Die Krux an der Sache ist jedoch, dass sich Regisseur Singer und Autor Del Toro offensichtlich etwas zu sehr in diese Figuren und ihre eigenen Dramen verknallt haben, geben sie ihnen doch etwas arg viel Raum, um sich zu entfalten... oder um hier auch mal geflissentlich auf der Stelle zu treten. Nach einem vielversprechenden und packenden Beginn spürt man nämlich, dass das Tempo zeitweise immer wieder arg nachlassen muss, um sich in fein gefilmten, aber letztendlich auch relativ beliebigen Füllszenarien zu ergötzen. Das verpasst vielen Nebenfiguren mehr Fleisch auf den Knochen, was erstmal schön ist, sorgt aber auch für ein wenig Langeweile, wenn der narrative Plot sehr lange vor sich herummäandert und die falschen Fährten, die währenddessen ausgelegt werden, schon von weitem zu riechen sind. Aufgrund des großen Ensembles fallen einige anfangs interessante Figuren im späteren Verlauf hintenüber und um rund zwanzig Minuten gekürzt wäre die Sache nicht nur flotter, sondern auch runder gewesen - nicht alle Fässer, die "Reptile" in seiner Überlänge aufmacht, werden nämlich auch zufriedenstellend zu Ende gebracht. Obwohl die letztendliche Auflösung durchaus überraschend ist und auch zu einem spannenden Finale gereicht, ist man am Ende doch nicht mehr so richtig begeistert und kommt zu der Annahme, dass etwas weniger diesmal mehr gewesen wäre.

Fazit: Die Atmosphäre ist wunderbar dicht, der narrative Plot spannend, der Cast kann sich mehr als sehen lassen. Trotzdem fehlt es dem Film aufgrund zahlreicher Subplots, die den konkreten Fall eher verwässern lassen, durchweg an Dynamik.

Note: 3-



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