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Hungerspiele ohne Katniss: Filmkritik zu "Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds and Snakes"

Vierundsechzig Jahre vor der Auswahl von Katnis Everdeen als weibliches Tribut für den zwölften Distrikt ist Coriolanus Snow (Tom Blyth) achtzehn Jahre alt. Um sich ein Stipendium für die Universität seiner Wahl zu sichern, ergreift er die Gelegenheit beim Schopfe, als der ihn hassende Dekan Casca Highbottom (Peter Dinklage), Erschaffer der Hungerspiele, neue Regeln für die zehnte Runde ebendieser bekannt gibt: Mentoren sollen den Tributen beim Überleben der Spiele helfen und der Mentor, der letztendlich den bleibendsten Eindruck hinterlässt, soll das begehrte Stipendium erhalten. Snow setzt von Anfang an alles daran, sein Tribut, die junge Sängerin Lucy Gray Baird (Rachel Zegler) aus Distrikt 12, in Szene zu setzen. Er hat jedoch nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich Gefühle für das kampfeslustige Mädchen entwickeln würde, weswegen er umso mehr darum kämpft, sie am Leben zu halten... bis er dafür sogar die Regeln beugen muss.

Basierend auf einer weiteren Romanvorlage von Suzanne Collins soll hier also der Werdegang des Snow erzählt werden - letztendlich der große Widersacher, den Katniss Everdeen mehr als sechzig Jahre später zu bezwingen versucht. Da der Film Snow nun jedoch auch als eine Art Helden aufbauen und somit seinen Sturz in die Boshaftigkeit nachzumalen versucht, versteht sich die Geschichte fast schon als eine Art Psychogramm eines zukünftigen Bösewichts. Als solches macht es einen soliden Job, stolpert aber ausgerechnet auf den finalen Metern seiner Erzählung. Denn ausgerechnet die Wandlung Snows vom empathischen Mentor hin zum eiskalten Spieltreiber geschieht unglaublich flott und letztendlich auf kaum nachvollziehbare, sehr forcierte Art und Weise. Das ist vor allem deswegen erstaunlich, da der Film vorher sehr viel Zeit darauf verbrauchte, Snow als lebenden und atmenden Menschen zu zeichnen... um dann seine wichtigste Wandlung (und das Herzstück der Geschichte) im Eiltempo abzuhaken. Zuvor hat man an diesem Charakter aber immer wieder spannende, auch angenehm ambivalente Charakterzüge gesehen, die einer ohnehin faszinierenden Figur noch einige weitere Facetten hinzufügen.
"The Ballad of Songbirds and Snakes" ist im direkten Vergleich mit der Blockbuster-Trilogie rund um Katniss Everdeen der kleinere, intimere Film. Sogar die zentralen Hungerspiele, die auch hier wieder angemessen spektakulär und für einen Streifen dieses Genres überraschend brutal inszeniert werden, sind hier nur ein langgezogenes Zwischen-Highlight auf dem Weg zu einem viel schmaleren, aber nicht minder packenden Finale, in welchem es zentral nur noch um zwei Figuren und deren Beziehung zueinander geht. Passend für ein solches Prequel hat der Film weniger Staunen, weniger Prunkvolles zu bieten - das sorgt zwar für ein Minus an Augenöffnern oder richtig spektakulären Action-Setpieces, dafür aber für ein Plus an mehr Charakterstärke. Wobei gerade die zentralen Hungerspiele zum wiederholten Male darunter leiden, dass sämtliche Teilnehmer*innen mit Ausnahme der Hauptfiguren sehr einseitig gezeichnet sind und ein Mitfiebern mit eben diesen dahingehend schwer fällt. Immerhin hat Regisseur Francis Lawrence, welcher die Reihe seit dem zweiten Teil begleitet, immer wieder ein paar inszenatorische Kniffe zu bieten, die über solche dramaturgischen Schwächen hinwegtrösten... auch wenn er nicht verhehlen kann, dass sich in den für die Reihe rekordverdächtigen 158 Minuten durchaus einige Längen eingeschlichen haben.
Tom Blyth und Rachel Zegler können den Film durchaus auf ihren Schultern tragen und verrichten in den Hauptrollen als tragisches Liebespaar mehr als solide Arbeit. Dennoch hätten solch ambivalente und mit sich kämpfende Rollen noch ein wenig mehr schauspielerischen Punch vertragen - mit der enormen Präsenz von Jennifer Lawrence können Zegler und vor allem Blyth hier leider nie konkurrieren. Auch prominente Kollegen und Kolleginnen wie Viola Davis oder "Game of Thrones"-Star Peter Dinklage kommen in den zweieinhalb Stunden zwar häufig, aber nie so richtig prägnant zu Wort. Das klingt nun im Großen und Ganzen aber alles etwas strenger, als es eigentlich ist. Denn Fans der Materie (wozu ich mich ausdrücklich zähle) bekommen mit diesem Prequel einen sehr interessanten Baustein zu der eigentlichen Reihe hinzugefügt, der zwar wenig wirklich Entscheidendes erzählt, dieses aber immerhin mit viel Liebe zum Detail, feinen Figuren und einigen Überraschungen garniert. So stimmt auch hier die Mixtur aus knallharter Gesellschaftskritik, die ihre zumeist jüngeren Zuschauer ernst nimmt, ekstatischer Action und leisen, stillen Momenten. Und da man sich dabei in Summe deutlich weniger dramaturgische Ausrutscher leistet als der finale Teil der Reihe rund um Katniss Everdeen, der seine eigenen dramatischen Ambitionen völlig unter den Teppich kehrte, kann man diesen Film dann auch durchaus qualitativ auf eine Ebene mit den vorherigen stellen.

Fazit: Trotz seiner überbordenden Länge und einigen zweifelhaften Charakteränderungen im letzten Drittel fügt dieser Film der "Panem"-Reihe interessante Geschichten mit spannenden Figuren hinzu - garniert mit einer packenden Inszenierung und einigen Überraschungen, die ans Herz gehen oder die Magengrube zu treffen vermögen.

Note: 3+



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