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Oscarprämierter Dauerstress: Filmkritik zu "Poor Things"

Bella Baxter (Emma Stone) ist nur äußerlich eine erwachsene Frau. Tatsächlich wurde sie von dem Wissenschaftler Dr. Godwin (Willem Dafoe) erschaffen, welcher das Gehirn eines Kindes in den Leichnam einer erwachsenen Frau pflanzte. Von Godwin lernt Bella alles über das Leben... zumindest alles, was er ihr beibringen möchte. Doch mit der Zeit entdeckt Bella auch selbst, was das Leben einer Frau ausmacht. Da sie nie gelernt hat, sich zu verstellen oder ein Blatt vor den Mund zu nehmen, glaubt Godwin, dass sie innerhalb der Gesellschaft zum Scheitern verurteilt ist. Bella sieht das anders: Sie möchte ausreißen, um die Welt zu entdecken. Dabei unterstützt sie der reiche Chauvinist Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo), welcher jedoch vor allem die körperlichen Reize der jungen Frau in seinen Besitz bringen möchte. Mit der Zeit erfährt Bella, was die Probleme einer Frau in der Gesellschaft sind... und vielleicht auch, wie sie gegen diese ankämpfen kann.

Seit einiger Zeit scheint die Academy auf möglichst skurille Stoffe abzufahren. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an den mehrfach prämierten "The Shape of Water", in welchem sich eine Frau in eine Art Wassermonster verliebte? Oder an den südkoreanischen Mega-Hit "Parasite", in welchem sich eine arme Familie in das Haus einer reichen Familie einschlich, um dort grauenvolle Geheimnisse in deren geheimen Zimmern ausfindig zu machen? Diese Filme machen es einem Mainstream-Publikum nicht leicht, haben unter ihrer verschrobenen Oberfläche aber meist richtig intelligente und wichtige Dinge zu sagen. Das ist bei "Poor Things" nicht anders, der 2024 neben Christopher Nolans "Oppenheimer" der große Sieger der Oscar-Nacht war und vier Trophäen abstauben konnte. An der Oberfläche erzählt der Film von Regisseur Giorgos Lanthimos, der mit Werken wie "The Lobster" oder "The Favourite" bereits mehrfach dem Skurillen oder der Sperrigkeit fröhnte, erst einmal eine moderne Frankensteingeschichte - das ist mehr als offensichtlich. Ebenfalls offensichtlich erzählt man hier eine feminine Geschichte, in welcher sich eine junge Frau aus dem Käfig, den die Männer um sie herum erbaut haben, befreien muss. Das ist eine wichtige und zeitgemäße Message und sicherlich einer der Gründe, warum der Film bei den Oscars so hoch im Kurs stand (wenn man bedenkt, dass der feministische "Barbie" letztendlich ja nur einen Trostpreis bekam). Leider erzählt "Poor Things" darunter nicht mehr viel und bleibt deswegen eine reichlich aggressive und vorhersehbare Geschichte, die selten weiter geht als das, was man nach den ersten zehn Minuten erwartet.
Denn natürlich erfährt Bella da draußen, in der gemeinen, dunklen Welt, dass es für Frauen nicht gut aussieht. Erst recht nicht in der ganz gepflogenen Gesellschaft, in welcher sich Männer das weibliche Geschlecht am liebsten einfach packen und in eine Schublade stopfen würden, um es bei Bedarf einfach wieder klagelos herauszuholen. Der Kampf, den die Hauptfigur dabei gegen die Männerdomäne ausführt, wird ebenso packend wie gefühlvoll erzählt, schlägt deutlich auf den Tisch und hat auch das Herz am rechten Fleck... bleibt aber leider unemotional. Weder konnte ich eine echte Bindung zu Bella aufbauen (was daran liegen mag, dass sie eben eine reichlich skurille, fantastisch angehauchte Figur ist, die kaum in der Realität verankert werden kann) noch vermochte mich diese teils bunte, teils auch düstere Welt mit ihren drolligen Apparaturen und Experimenten in ihren Bann zu ziehen. Dafür war das alles einfach zu schräg... obwohl ich nichts gegen das Schräge an sich habe. Regisseur Lanthimos scheint hier aber zum wiederholten Male etliche, inszenatorische Ideen in den Raum zu werfen, die er als künstlerisch diffus erachtet, die in ihrer Masse aber eher anstrengen als erregen. Das gilt für die Nutzung mehrerer Kamerastile, für den schrecklichen Soundtrack und für die mal wieder recht ereignislos eingesetzte Schwarz-Weiß-Inszenierung, die hier keinerlei höherem Ziel zu dienen scheint. Lanthimos vereint alles, was für die Sperrigkeit des Indie-Kinos steht, doch vermag er es nicht, all diesen originellen, aber auch reichlich verkopften Ideen noch einen Rahmen zu geben, der über die reine Willkür weit hinausgeht.
Das ist aber natürlich immer Geschmackssache. Ich habe mit Lanthimos' Werken schon immer ein bisschen gefremdelt, wem sein Stil also in der Vergangenheit bereits zusagte, der dürfte mit "Poor Things" ebenfalls Freude haben. Nichts auszusetzen habe ich dafür an der Performance von Emma Stone, die dafür zuletzt ihren zweiten Oscar gewann... nach ihrer grandiosen Performance im mehrfach prämierten "La La Land". Stone verleiht ihrer anfangs naiven und neugierigen, aber auch herrischen Bella, die sich alsbald zu einer selbstbewussten Frau wandelt, genau die richtige Power, um durchweg zu fesseln. Sie kann zwar auch nicht darüber hinwegtrösten, dass der Film mindestens zwanzig Minuten zu lang geraten ist, aber immerhin kann man sich an ihrem machtvollen Spiel, stets garniert mit einer gewissen, verrückten Komik und einer ungemein mutigen, körperlichen Freizügigkeit, einfach nicht sattsehen. Der Rest des Casts kann ihr da nur besten Gewissens zuspielen, wobei Willem Dafoe als einerseits skrupelloser, andererseits erstaunlich tiefschürfender Wissenschaftler mit finsterer Vergangenheit und ziemlich ekelhaften Zielen aber auch achtungsvoll agiert. Mark Ruffalo überzeichnet als widerlicher Schleimbeutel hingegen recht drastisch, was bei dieser als klarem Antagonisten angelegten Rolle in einem solch wilden Szenario aber auch nicht das Schlechteste ist. Er transportiert dabei vornehmlich das Dunkle des Mannes, dass es zu bekämpfen gilt... das wird dann zwar mit dem Holzhammer transportiert und ist dementsprechend in seiner Message durchaus zu vorhersehbar, um noch zu überraschen, hat aber dennoch aktuelle Kraft.

Fazit: Die feministische Geschichte verliert trotz des skurillen Deckmantels nichts von ihrer Power - auch dank einer umwerfenden Emma Stone. Leider weiß Regisseur Lanthimos seine an und für sich packende Geschichte zwischen all den willkürlichen, inszenatorischen Ideen nicht wirklich zielführend zu erzählen und ergötzt sich in seiner künstlerischen Sperrigkeit, ohne dass von ihr ein dramaturgischer Mehrwert ausgehen würde.

Note: 3-



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