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Aster und Phoenix verfallen dem Wahn: Filmkritik zu "Beau Is Afraid"

Beau (Joaquin Phoenix) ist ein Mann mittleren Alters, der in einer eigenen Welt lebt, die ihn für immer und überall die große Gefahr darstellt. Als er plant, seine Mutter am Todestag seines Vaters zu besuchen, geht alles schief und Beau muss die mögliche Sicherheit seines Heims verlassen - erst für einen Schluck Wasser, dann gar um einem skurillen Todesfall nachzugehen. Beaus Reise führt ihn durch allerlei düstere und gefährliche Welten, in seinem Kopf und darüber hinaus, wobei er sich nicht nur seiner puren Angst vor unserer Welt, sondern auch seiner Vergangenheit, seiner Lust und seinen Interessen stellen muss, die seine Gedankenwelt förmlich auf den Kopf stellen.

Ari Asters "Midsommar" war für mich ungefähr zwei Stunden lang ein perfektes, erschütterndes und ungemein grauenerregendes Horrormeisterwerk... bis sich der Film in seiner finalen Dreiviertelstunde so sehr selbst demontierte, dass ich ihn insgesamt nur noch als "ganz gut" beschreiben kann. Was passiert nun also, wenn Regisseur Aster für seinen neuesten Film all diese positiven Elemente seines anfänglich gnadenlos guten Horror-Thrillers über Bord wirft und die entrückte, forcierte und überkandidelte Ekel- und Irrsinns-Performance nun als Hauptelement annimmt... innerhalb eines beinahe dreistündigen Werks? Das kann man sich prinzipiell ziemlich gut ausmalen, auch wenn man das nicht unbedingt will und ich war schon im Voraus mehr als skeptisch, auch da die Presse "Beau Is Afraid" längst nicht mit so viel Liebe bedachte wie Asters "Midsommar" und vor allem sein Erstlingswerk "Hereditary". Es ist nun aber sogar noch ein bisschen schlimmer als befürchtet, denn nach einem vielversprechenden und hervorragend inszenierten Einstieg verliert sich Aster in den mittlerweile von ihm bekannten, verkopften Wirren eines menschlich verworrenen Geistes und behält dabei kaum einen Überblick.
Dabei lässt sich an den technischen Fähigkeiten Asters, der seine wilden Gedankenfantasien inszenatorisch mit vielen feinen Ideen ausstattet, ebenso wenig etwas aussetzen wie an einer mal wieder phänomenalen Darstellerleistung von Oscarpreisträger Joaquin Phoenix. Ähnlich wie in seiner Performance als der "Joker" frisst Phoenix hier förmlich die Leinwand auf und suhlt sich nur in den zahlreichen Leiden seiner Figur - physisch beeindruckend, aber bisweilen eben auch etwas zu viel des Guten. Sich mit Titelfigur Beau wirklich zusammenzuschließen, fällt ohnehin schwer, da man ihm in seiner eigenen Gedankenwelt natürlich nicht vertrauen kann - nichts ist hier wirklich echt, alles ist nicht da. Das hat zu Beginn noch seinen Reiz, eine Alptraums-Vision auf drei Stunden auszuwalzen, ist dann aber doch etwas zu pathetisch. Dabei ist Asters Hang zum Wilden, zum vollkommenen Wahnsinn wohl nirgends besser aufgehoben als in einer Geschichte wie dieser - es geht hier schließlich um einen Menschen mit gigantischen Angststörungen und Aster ist mehr als fähig, eben diese dauerhafte Panik und diese Wahnvorstellungen in ganzer, verstörender Breite zu illustrieren. Dabei schießt er aber noch viel früher als in "Midsommar" den Vogel ab, überschreitet die Grenze zur unfreiwilligen Gaga-Komik und verursacht keinen echten Schrecken mehr, sondern Überreizung.
Zudem ist Beau als Charakter auch nicht so spannend, um ihm einen ganzen Film zu widmen, der mit seiner Vergangenheit aufräumen soll. Er besitzt durchaus eine gewisse Faszination, doch ist das Eintauchen in die Wirren seines an Traumata nicht armen Lebens alsbald nur noch ein Versuch, mit dem Holzhammer einen dramaturgischen Unterbau für einen ohnehin schon am Boden liegenden Charakter zu bauen. Auch das erinnert in seiner wenig zielführenden Art und Weise an "Joker": Ein Charakter bekommt vom Leben immer wieder eins in die Fresse, ohne Unterlass oder Aussicht auf Besserung - es dauert nicht lange, bis beim Zuschauer angesichts von so viel Depression eine Sättigung einsetzt. Der eigentliche rote Faden, bei welchem Beau sich seinen Ängsten stellen und die Wahrheit über sein Leben herausfinden muss, entpuppt sich als eine Aneinanderreihung von inszenatorisch durchaus wirkungsvollen, aber auch überzeichneten Szenarien. Im Grunde das Finale von "Midsommar", aufgebläht auf drei kaum enden wollende Stunden, Wahnsinn in Dauerkultur. Aster ist fähig, das breit zu inszenieren und im Grunde Schrecken und Emotionen zu triggern. Würde er diese Fähigkeiten in einem Film nutzen, der eine Geschichte erzählt, die nicht nur ein Leveln des Wahnsinns ist, dann könnte ihm vielleicht wieder ein Werk gelingen, welches an "Hereditary" oder den Großteil von "Midsommar" heranreicht. Hier hat er den Vogel aber mehr als einmal abgeschossen - er hat ihn zerfetzt, wieder zusammengesetzt, in die Luft gejagt, ins All geschossen und anschließend mit dem grausigen Holzhammer zerquetscht und in seine Atome zerlegt.

Fazit: Ari Aster ist vom Weg abgekommen - nicht inszenatorisch, nicht in seiner Kraft, alptraumhafte Szenen zu kreieren, aber in seiner Vision. "Beau Is Afraid" ist das überzeichnete "Midsommar"-Finale in einer dreistündigen Version, schrecklich, aufgebläht, episodenhaft, unstrukturiert und von Joaquin Phoenix bis zum Überexzess zerspielt.

Note: 4-



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