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Tim Burton belebt den Kult neu: Serienkritik zur ersten Staffel von Netflix' "Wednesday"

Aufgrund eines versuchten Mordes an ihrer Highschool wird die Teenagerin Wednesday Addams (Jenna Ortega) gegen ihren Willen auf die "Nevermore Academy" geschickt - eine Schule, die den Ruf eines Internats für allerlei Außenseiter hat und dabei junge Werwölfe, Hexen und allerlei weitere Fantasiegestalten beherbergt. Wednesday beschließt von Beginn an, bloß keine Wurzeln zu schlagen und jegliche soziale Interaktion auf ein Minimum zu beschränken. Dies stellt sich jedoch als schwierig heraus, da ihre Zimmerpartnerin Enid (Emma Myers) sich voll und ganz auf Wednesday einschießt und auch die Schulleiterin Larissa Weems (Gwendoline Christie) beide Augen auf die neue Schülerin geworfen hat. Zudem wird Wednesday auch noch Zeugin eines grauenvollen Mordes und ermittelt selbst in eben diesem, wobei sie auf eine schreckliche Verschwörung stößt, die sogar etwas mit ihr und ihrer Familie zu tun haben könnte.

Tim Burton und die Addams Family - dass auf diese Kombo noch niemand zuvor wirklich gekommen ist, scheint heute nahezu frevelhaft. Burton ist immerhin der (zeitweilige) Meister des Düsteren und Obskuren, was so ja auch auf die Addams Family zutrifft. Für Netflix durfte Burton nun eine Art Neuinterpretation des Serien- und Filmkults auf die Beine stellen und führte bei den ersten vier Folgen von "Wednesday" Regie und fungierte als Executive Producer. Es ist nicht verwunderlich, dass man Burtons Handschrift bei diesem Thema sofort wiederentdeckt: Die düsteren Bilder stecken immer wieder voller fieser Details, der Soundtrack von Danny Elfman geht gleich ins Ohr und und die Geschichte rund um einen finsteren Kriminalfall in einer finsteren Schule voller finsterer Menschen atmet ja ohnehin schon seine Seele. Es wäre jedoch mehr drin gewesen, denn das Setting einer Schule, die von Menschen und Wesen mit diversen, magischen Fähigkeiten beheimatet wird, kommt einem natürlich nicht gänzlich unbekannt vor und ein Vergleich muss da quasi automatisch gezogen werden. Und in diesem Vergleich hinkt "Wednesday" der ikonischen und wesentlich besser gearbeiteten "Harry Potter"-Reihe noch meilenweit hinterher: Das Worldbuilding gerät nicht ansatzweise so detailliert, die Figuren nicht so charmant, das Setting nicht so magisch. Tatsächlich hätte sich die Nevermore Academy für zahlreiche kleine und große Details, die Leben in das Setting bringen, angeboten... doch sehen tun wir davon praktisch nichts.
Das ist schade, denn eine magische Welt, die sich auf dem heimischen Bildschirm langsam entfaltet und wirkliches Worldbuilding betreibt, gibt es nur noch selten. Ersetzt wird solches von zwei Plotlines: Einmal Wednesday's Versuch des Einlebens auf der Academy und dann natürlich der im Fokus stehende Kriminalfall, der sich durch zahlreiche Wendungen, falsche Verdächtigungen und immer neuen Spuren auszeichnet. Wirklich spannend ist dieser aber nicht geraten, da es der Inszenierung innerhalb der acht Folgen deutlich an Dynamik mangelt. Aufgrund der zahlreichen Figuren, welche die Drehbücher nicht so erinnerungswürdig zeichnen wie es eigentlich wünschenswert wäre, nimmt der Plot immer wieder halbgare Abzweigungen und stellt Nebenplots voran, die später keine wirkliche Rolle mehr spielen. Falsche Fährten sind schnell als solche zu erkennen, auch wenn Wednesday's unkonventionelle Methoden der Spurensuche durchaus Freude machen können. Man spürt jedoch, dass sich der Plot mehrmals im Kreis drehen muss, um die Auflösung bis zur letzten Folge strecken zu können - dazwischen gibt es eine ganze Menge an Füllmaterial. An und für sich habe ich gegen solches gerade bei Serien gar nichts, doch nutzt sich dieses Material leider nicht daran ab, den Charakteren etwas mehr Fleisch auf die Knochen zu geben, sondern verweilt eher in mal mehr, mal weniger interessanten Teenie-Konflikten und etwas wirr erzählten Familiendramen.
So richtig rundlaufen will diese Sache also eigentlich nicht... tut sie aber dennoch. Und es ist keine Überraschung, dass dies zu weiten Teilen der Verdienst von Jenna Ortega nicht, die mal wieder die ganze Produktion mit ihrer grandiosen Ausstrahlung beherrscht. Mit ihrer Verkörperung der Kultfigur Wednesday Addams scheint sie nun so etwas wie die Rolle ihres noch jungen Lebens gefunden zu haben, denn sie verschmilzt praktisch mit dem Charakter. Es sind immer wieder kleine Highlights, wenn Ortega mit finsterster Miene ihre eigenen Ansichten der Welt preisgibt und die umstehenden Menschen damit mehr als einmal schockiert und brüskiert. Durchzogen mit einem skurillen Humor, der immer wieder voll ins Schwarze trifft, macht Ortegas herrliche Darstellung dieser Serie viel besser, als sie letztendlich auf dem Papier ist. Dabei überschattet sie bisweilen auch die Nebendarsteller*innen, obwohl auch hier einige echte Coups gelungen sind. So ist die Besetzung von Christina Ricci, welche die Rolle der Wednesday bereits in früheren "Addams Family"-Filmen spielte, natürlich schon mal ein Gewinn, der auch Fans erfreuen dürfte; Emma Myers als Wednesday's hibbelige Mitbewohnerin sorgt für Humor, aber auch für jede Menge Herz; und Gastauftritte von weiteren Addams-Family-Mitgliedern, hier verkörpert von Catherine Zeta-Jones und Luis Guzman, passen wie die Faust aufs Auge. Keine Frage, allein wegen Ortega werde ich mir zukünftige Staffeln ohnehin ansehen. Angesichts der kleinen Vorschau, die uns die letzten Minuten der achten Folge bietet, bleibt jedoch auch die Hoffnung, dass der übergeordnete Plot ebenfalls noch ein wenig zulegt. Wenn das geschieht, könnte uns hier wirklich magische Streaming-Skurrilität ins Haus fliegen.

Fazit: Das Worldbuilding hätte soviel mehr Potenzial für echte Magie geboten, der Plot mäandert lange vor sich herum, die Nebenfiguren haben nicht genug Biss. Gerettet wird diese Serie dann vor allem dank der sicheren Inszenierung seitens Tim Burton und Co. und vor allem von Hauptdarstellerin Jenna Ortega, die mit grimmiger Miene und bissigen Kommentaren für einen enormen Unterhaltungsfaktor innerhalb der wirren Geschichte sorgt.

Note: 3



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