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Netflix' eigenes Piratenuniversum: Filmkritik zur ersten Staffel von "One Piece"

Vor vielen Jahren wurde der legendäre Pirat Gol D. Roger hingerichtet - dabei nahm er den Lageort seines eigenen, gigantischen Schatzes mit ins Grab. Daraufhin begannen tausende Piraten mit der Suche nach dem legendären "One Piece", ohne jedoch je eine Spur zu erhaschen. Mehrere Jahre nach Rogers Tod macht sich auch der junge, aufgeweckte Pirat Monkey D. Ruffy (Inaki Godoy) auf die Suche nach dem "One Piece"... oder hat das zumindest vor, denn um seine Abenteuerreise überhaupt zu starten, braucht er erst einmal ein seetaugliches Schiff, eine loyale Crew und eine Karte, die jedoch in den Händen der piratenjagenden Marine-Soldaten liegt. Von solcherlei Stolpersteinen lässt sich ein Ruffy aber natürlich nicht aufhalten... und alsbald findet er in der schweigsamen Diebin Nami (Emily Rudd) und dem Schwertkämpfer Lorenor Zorro (Mackenyu) sogar erste Gefährten, auch wenn diese gänzlich andere Vorstellungen von dem Verlauf dieses Abenteuers mitbringen.

Langjährige Fans des berühmten Mangas "One Piece" und der dazugehörenden Anime-Serie dürften bei der Netflix-Adaption in Verzückung geraten. Selbst ich, der mit dem Anime als Kind nur sporadisch in Berührung kam, fand so viele Details und Running Gags wieder, dass ich immer wieder ein seliges Grinsen auf dem Gesicht hatte. Von dem Aussehen und den Kostümen der Charaktere über die perfekte Nachempfindung der Ortschaften und dem Soundtrack - alles atmet hier so dermaßen gut die Atmosphäre des Anime-Originals, dass man das Herz und die Leidenschaft der Macher für ebenjene durchgehend spürt. Wer mit diesem jedoch wenig bis nichts anfangen kann, dürfte auch hier ein paar Schwierigkeiten haben, sich an Ton und Optik zu gewöhnen. Denn getreu dem Original wirkt das gesamte Setting hier arg künstlich, die Schauplätze und Bilder irgendwie leer... und alles wahnsinnig bunt. Es fällt schwer, in ein solch künstliches und der Realität vollkommen fernes Setting so richtig einzutauchen - vor allem, wenn man keinen Bezug zum Original hat und deswegen nicht die fein platzierten Details aufsaugen kann. Denn obwohl viel Geld in diese große Produktion floss, wirkt hier nichts wirklich echt. Sogar die Kostüme und Masken erinnern in vielen Fällen an (sehr gute) Cosplays und die Spezialeffekte sind beinahe durch die Bank weg mittelmäßig... natürlich auch, weil sich die Welt generell künstlich anfühlt und eben auch irgendwie künstlich anfühlen soll.
Aufgrund dieser optischen Differenzen und der seichten Dramaturgie fiel es mir zu Beginn schwer, wirklich in die Welt von "One Piece" abzutauchen, Letztere sieht hier nämlich einen groben, umspannenden Handlungsbogen vor, der aber niemals wirklich vorankommt (so richtig nahe kommt die legendäre Strohhutbande dem titelgebenden Schatz hier nämlich nicht) und sich somit eher durch immer weitere Hindernisse auf dem groben Weg abzeichnet. Und hier haben wir dann ein echtes Problem, da die Dramaturgie sich auf nur acht Folgen spannt und diese kurze (wenn auch leider mittlerweile normale) Laufzeit einer Staffel den Plot quasi dazu zwingt, sich durch all diese Settings zu hetzen. Für interessante Charakterentwicklungen bleibt dabei allenfalls wenig Zeit, einige Figuren fallen sogar komplett ohne Background zurück. Zumeist wird in einer Folge nur ein neuer Bösewicht eingeführt, der in der nächsten Episode in einem spektakulären Gefecht bezwungen wird, um in der darauffolgenden Episode wieder einen neuen Antagonisten aus dem Hut zu zaubern... und so weiter und sofort. Im Gegensatz zu den Helden bleiben die vielen Feinde, denen Ruffy und Co. auf ihrem Abenteuer begegnen, kaum im Gedächtnis, da der reichlich seichte Plot diese nur als kurzzeitige Hindernisse aufstellt. Eine stimmige Dramaturgie und ein wirklich bedrohlicher Feind kommen dabei nicht herum, was "One Piece" zumindest ansatzweise zu einer Nummernrevue und zu einem Abhaken von skurillen Gefahren-Checkboxen macht.
Gäbe es da nicht ein wunderbar-sympathisches Grüppchen aus kernigen Helden und Heldinnen, die eben diese Nummernrevue zusammenhalten würde, würde "One Piece" wohl kaum funktionieren. Doch beim Casting für bekannte Figuren wie Nami, Zorro und Co. bewies man ein mehr als glückliches Händchen - die Schauspieler*innen sehen den Anime-Vorlagen nicht nur wahnsinnig ähnlich, es gelingt ihnen zudem auch mimisch und gestisch so nah an diese Figuren heranzukommen, wie es bei einer Realverfilmung nur möglich sein kann. Die bekannten Synchronsprecher wurden für die deutsche Version ebenfalls erneut herangezogen, was alteingesessene Fans sicherlich freuen dürfte. Das loyale Zusammengehörigkeitsgefühl dieser bunten Truppe wirkt tatsächlich echt, die Darsteller*innen agieren mit herrlicher Spielfreude und das Gefühl, hier wirklich einer Truppe von (baldigen) Freunden bei einer großen Reise zuzusehen, überträgt sich rasch auf das Publikum. Diese feinen Interaktionen zwischen den sehr sympathischen Helden macht die Serie dann auch deutlich besser, als es die simple Dramaturgie erahnen lässt und zieht einen immer wieder in die Geschichte hinein. Die Hauptfiguren werden mit feinen Backgrounds ausgestattet und funktionieren daher sowohl als Einzelkämpfer als auch als Team. Das ist für eine schöne Abenteueratmosphäre unabdinglich und sorgt somit vor allem gegen Ende der Staffel dafür, dass man sich auf eine Fortsetzung der Reise definitiv freut. Angesichts des relativ großen Erfolgs der Serie dürfte diese wohl auch nicht mehr zu lange auf sich warten lassen.

Fazit: An die reichlich künstliche und bonbon-bunte Optik sowie an die etwas durchsichtige Dramaturgie muss man sich gewöhnen oder einfach drauf einlassen. Angesichts solch eines sympathischen Casts und einer Fülle von Anspielungen und Referenzen auf das Original dürften aber vor allem Fans vollkommen abgeholt werden.

Note: 3



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