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Die letzte Therapie: Serienkritik zur vierten Staffel von "Sex Education"

Nach der endgültigen Schließung der Moordale Secondary müssen Otis (Asa Butterfield) und all die anderen Schüler und Schülerinnen an einer neuen Lehrstätte unterkommen. Otis und Eric (Ncuti Gatwa) sind fest entschlossen, dort eine erneute Sex-Therapie zu starten, diesmal sogar kostenlos. Allerdings droht ihnen dort bereits Konkurrenz und Otis muss sich maßgeblicher profilieren, was schon früh in eine Katastrophe zu münden droht. Auch seine Beziehung zur mittlerweile in Amerika lebenden und studierenden Maeve (Emma Mackey) muss neu ausgehandelt werden, denn aufgrund der großen Entfernung gibt es sowohl Eifersucht als auch sexuellen Frust zu beklagen. Und zu guter Letzt muss sich auch Otis' Mutter Jean (Gillian Anderson) mit neuen Lebensumständen herumschlagen, denn ein neugeborenes Baby erleichtert ihr den Sprung in einen neuen Job nicht gerade...

Die ersten Zeichen sehen gar nicht mal so gut aus, denn mit dem Location-Wechsel zur bunten, neuen Schule, auf der sich allerlei (zumindest auf den ersten Blick) schräge Gestalten herumtreiben und wo Lebens- und Unterrichtsmethoden fernab der Realität verankert sind, fühlte ich mich an die überzeichnete dritte Staffel erinnert, die mir deutlich weniger gefallen hat. Natürlich dient der Wechsel hin zu einer neuen Schule, wo mehr als offen mit Sexualität und Geschlechtsidentitäten umgegangen wird, dieser Netflix-Produktion vorrangig dafür, die Diversity-Schrauben noch heftiger anzudrehen - diesmal soll sich wirklich jede*r angesprochen und bestätigt fühlen. Das ist ehrenwert, keine Frage, doch verfängt sich "Sex Education" in dieser vierten Staffel aufgrund dem Zwang, es wirklich jedem Menschen rechtmachen zu wollen, in mehreren Problemen. Zum einen muss die Serie nun zwangsläufig so viele Themen aufgreifen und durchsprechen, dass nicht für alle genug Zeit bleiben kann. Im schlimmsten Fall werden diese wichtigen Themen, nur um sie irgendwie noch innerhalb des zerfaserten Plots zu erwähnen, vollkommen plump auserzählt. Nur zur Klarstellung: Das seriöse Aufgreifen von wichtigen Themen wie Behinderung, sexueller Identität und Religion im Bezug auf sexuelle Offenheit ist wichtig... doch es muss eben auch ansprechend erzählt werden und darf sich nicht nach einer Checkliste anfühlen, damit man am Ende niemanden ausspart.
Genau das ist jedoch das eklatanteste Problem dieser Serie seit der dritten Staffel: Progressiv war sie schon immer, dabei aber auch leichtfüßig, charmant und irgendwie angenehm rotzig. Dieser freche Ton ist angesichts der Tatsache, dass die Charaktere eben auch erwachsener geworden sind und viel besser wissen, was sie nun wollen, fast vollständig gewichen und macht Platz für eine Art Erklärbär-Stimmung. Dabei unterhalten sich die Charaktere in arg entrückten Dialogen, die zu weiten Teilen aus schwach geschriebenen Binsenweisheiten bestehen und in denen sie stets ihre gesamte Gefühlslage verbal ausdrücken. Das wirkt leider völlig unreal und macht die Charaktere und ihre wichtigen Probleme viel schwächer, da sie mit Zwang behandelt werden. "Sex Education" schlägt so oft mit voller Wucht und dem Holzhammer zu, dass wir vielen Figuren ihre inneren Konflikte nicht mehr abkaufen, da die Drehbücher sie als Spiegelbilder für erwartungsfreudige Zuschauer*innen benutzen. Das klappt manchmal auch gut, immer wieder aber auch weniger. Bezeichnend ist dafür der Charakter Cal Bowman, der pünktlich zur dritten Staffel zum Cast stieß und mittlerweile im Grunde nur noch dafür ist, um dauerhaft Informationen zur sexuellen Identität preiszugeben - ohne Charme, ohne Ironie, aber auch ohne echten Tiefgang. Auch die Figur des Eric wird mit viel Zwang in eine bestimmte Richtung gedrängt und verliert deswegen viel von ihrer Leichtigkeit. Dabei sind die Themen, die diese Charaktere antreiben, so wahnsinnig wichtig und auch spannend... die Serie schafft es in ihrem Versuch, möglichst alle Themen noch anzureißen und belehrend auszuerzählen, aber nicht, diese auch wirklich so zu präsentieren, wie es ihnen angemessen wäre.
Aber zumindest ein bisschen den Schwamm drüber: Auch die vierte Staffel hat in beinahe jedem der Plots noch genügend bewegende Momente, um gut zu unterhalten. Gerade die Geschichten der bereits bekannten Figuren werden sinnig auserzählt, auch wenn es schade ist, dass gleich mehrere Hauptfiguren ausgerechnet in der finalen Staffel vollständig mit Abwesenheit glänzen (und oftmals wortlos oder ziemlich negativ herausgeschrieben wurden). So glänzt besonders der Handlungsstrang um Maeve und Otis mit viel Herz und anfänglich auch dem bekannten, schrägen Humor. Auch einige neue Figuren fügen sich nach einer kurzen Eingewöhnungszeit sinnvoll ein und der Grad der Überzeichnung erreicht zum Glück nicht mehr die Nazi-Gedenk-Kapriolen rund um die neue Schulleiterin Hope aus der dritten Staffel. Der Kontrast zwischen richtig guten, weil leiser erzählten Geschichten (z.B. die rund um den ehemaligen Bully Adam oder um die zu neuer Stärke zurückgefundene Amy) und den etwas schwächeren, weil deutlich zu gewollt wirkenden Storys (wie bei Cal, aber auch bisweilen bei Otis' Mutter Jean) ist dementsprechend hoch, doch es gibt immer wieder mal richtig starke Momente, die mehr mit Herz als mit Humor glänzen. Auch hier ist die Fallhöhe jedoch bisweilen hoch, wenn schräge Comedy-Storys parallel zu herzzerreißenden Drama-Geschichten ablaufen - die Dynamik stimmt hier oftmals nicht mehr. Das bockstarke Ensemble rund um Asa Butterfield, Emma Mackey und Co. vermag aber auch solcherlei Patzern immer wieder Charme und Ausdruck zu verleihen.

Fazit: "Sex Education" verabschiedet sich mit einer recht schwachen, weil arg gewollten und forcierten Staffel, die dramaturgisch äußerst zerklüftet daherkommt. Sicherlich hat die Serie auch hier noch Momente voll von echtem Herz, die jedoch oft überschattet werden von dem Zwang, wirklich alles noch mitzunehmen... und dabei keine echte Tiefe mehr erreicht.

Note: 3-



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