Der schüchterne Teenager Owen (Justice Smith) hat in seinem Leben abseits seiner Eltern nur einen richtigen, sozialen Kontakt: Gemeinsam mit Maddy (Brigette Lundy-Paine) sieht er sich, nach ersten, sehr schüchternen Kontaktaufnahmen, jeden Samstagabend heimlich eine Serie an, die ihm seine Eltern verbieten wollten. Beide sind von der Show völlig eingenommen und über weite Strecken besteht ihr Kontakt daraus, dass sie über die Serie und ihre Figuren sprechen. Für Owen ändert sich alles, nachdem er die Serie in sein Leben gelassen hat und für ihn und Maddy wird die Show so etwas wie eine Obession. Als sich Fiktion und Realität eines Tages zu vermischen beginnen und Owen nicht mehr weiß, was die Serie eigentlich auf ihn bewirkt und was davon noch echt ist, beginnt er mehr und mehr an sich und seiner Umgebung zu zweifeln...
Mit einer Fehlinterpretation sollte man gleich vorab aufräumen: "I Saw The TV Glow" ist kein Horrorfilm, auch wenn er auf vielen Filmseiten als solcher geführt und bisweilen auch so beworben worden ist. Viel mehr kristallisiert Jane Schoenbrun auf dem Regiestuhl eine wichtige und richtige Coming-of-Age-Geschichte heraus, die in ihrer Summe mehrere verstörende Szenen hat und deswegen vielleicht von außen den Horror-Stempel aufgedrückt bekommen hat. Der wahre Horror ist jedoch das Leben, welches die beiden Hauptfiguren führen müssen, in welchem sie entweder kaum oder viel zu sehr wissen, wer oder was sie sind und sein wollen. In dieser Form erzählt Schoenbrun sowohl eine Geschichte über queeres Verlangen als auch eine Geschichte über Transmenschen, ohne diese jemals genau so zu benennen. Vieles lässt sich zwischen den Zeilen lesen und hat mit der eigenen Identität und was man tun oder eben nicht tun muss, um sich dieser bewusst zu werden.
Mit diesem Gepäck auf dem Rücken beweist Schoenbrun erst einmal ein wahnsinnig gutes Gespür für gewisse Stilmittel. Ob es sich nun um die bewusst verrauschten und farblich vergilbten Bilder aus der 90er-Fernsehserie handelt oder um das "echte" Leben, welches ebenfalls in farbentsättigten, einengenden Fotografien gehalten ist. Der Soundtrack ist dabei herausragend gut gewählt, die Kameraarbeit wundervoll. Ein echter Glücksgriff ist auch das Casting: Justice Smith ist ohnehin fast immer gut, doch in diesem kleinen, feinen Film bringt er abseits großer Blockbuster wie "Jurassic World" oder "Dungeons & Dragons" seine bislang vielleicht beste, weil reifste Leistung als vollkommen verängstigter und Emotionen kaum zulassen könnender Teenager. Neben ihm glänzt auch Brigette Lundy-Paine - beide spielen sich nicht nur verlässlich stille Bälle zu und haben deswegen eine ungemein finstere und packende Chemie miteinander, sondern gehen mit den oftmals nur gezischten Dialogzeilen auch sehr spielerisch um.
Am Ende ergibt all das trotzdem kein rundes Ganzes: "I Saw The TV Glow" ist in seinem Stil oft ziemlich unstet und in Sachen Dramaturgie folgt er ohnehin keinen echten Pfaden. Was nun echt und was Realität ist, ist nicht nur kaum zu erkennen, sondern im weiteren Verlauf auch immer weniger wichtig. Dass der Film Aussagen zu Transmenschen und ihren steinigen Lebenswegen treffen möchte ist klar - in welche Richtung er sie austeilt, verwirrt jedoch. So bleiben die Charaktere letztendlich doch weitestgehend unbeschriebene Blätter, an deren Schicksal man zwar durchaus teilnimmt, die das Publikum aber später ebenso zu verlieren drohen wie die Bindung an sich selbst. So bleibt ein mutiges Experiment mit einigen ganz starken Bildern, die man so selten findet, aber auch ein echter Rucksack voller Möglichkeiten, die sich nicht immer ausschöpfen wollen und deswegen ein wenig wirr im Raum hängenbleiben.
Fazit: Stilsicheres Drama-Experiment, bisweilen verstörend und aufrüttelnd, in seinen zentralen Aussagen aber zu unklar. Für Mainstream-Zuschauer ohnehin zu sperrig, dafür aber durchaus gut gespielt und mit einigen sehr verstörenden, emotional aufgeladenen Momenten versehen.
Note: 3-
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