Direkt zum Hauptbereich

Der Junge muss an die frische Luft

Hans-Peter Kerkeling (Julius Weckauf) wächst in den 70er Jahren in Recklinghausen auf. Die Familie wird in seinem Leben großgeschrieben - besonders zu seinen Großeltern und zu seiner mit der beinahe alleinigen Erziehung von Hans-Peter und seinem Bruder Matthes (Jan Lindner) bald überforderten Mutter Marget (Luise Heyer) hält er eine enge Beziehung. Schon in jungen Jahren wird Hans-Peters Talent fürs Komische deutlich, als er damit beginnt, die Kunden im Laden seiner Oma Bertha (Ursula Werner) zu imitieren oder kleine Gesangseinlagen in der heimischen Küche zum Besten zu geben. Mit seiner fröhlichen, neugierigen Art versucht Hans-Peter, die tragischen Zwischenfälle in der Familie Kerkeling aufzulockern und ebnet dabei den Weg zu einer nachhaltigen Karriere...

Die größte Schwierigkeit bei einer biografischen Erzählung im Rahmen eines abendfüllenden Spielfilms fällt dem deutschen Mega-Hit aufgrund der Romanvorlage sogleich von den Schultern - statt sich die Mühen zu machen, das gesamte Leben des kultigen Künstlers Hape Kerkeling in 100 Minuten zu quetschen, erzählt "Der Junge muss an die frische Luft" ausschließlich den Lebensabschnitt seiner Kindheit. Von den ersten, leichten Schritten im Comedy-Bereich bis hin zu einem kleinen Auftritt in einer Schulaufführung, wobei der junge Hape seinen Mitschülern mit nur einer einzigen Szene die Schau stiehlt. Diese Geschichten, die hier in 100 Minuten erzählt werden, wären in jedem anderen Biopic wohl innerhalb von zwanzig Minuten durchgepaukt worden. Nun können sich die Macher aber voll und ganz auf die Familiengeschichte der Kerkelings konzentrieren und wie der junge Hape an den Tragödien in seiner Jugend mit Witz, Neugier und Empathie an eben diesen Umständen wachsen, reifen und lernen konnte.
Das hätte dennoch leicht in eine schmalzige Richtung abdriften können. Dass dies hier nie der Fall ist und der Film von Regisseurin Caroline Link niemals in Gefahr gerät, einzelne Szenen zu komprimieren oder zu überdramatisieren, ist zum einem dem fabelhaften Drehbuch und zum anderen der brillanten Inszenierung zu verdanken. Letztere gewinnt auch durch eine ausgezeichnete Ausstattung, die das Deutschland der 70er Jahre mit oftmals nur kleinen und deswegen umso gewinnbringenderen Details zum Leben erweckt. Die Dialekte der Hauptfiguren, einzelne Requisiten und Szenenbilder und der leichtfüßige Soundtrack machen es dem Zuschauer nicht schwer, an dieser kleinen Zeitreise teilzunehmen, wobei die Kostüme, die Frisuren und die einzelnen Sets perfekt nachempfunden sind. Das ist aber, so gut es hier auch ist, nur das Tüpfelchen auf dem I - denn ohne eine gute Geschichte wäre auch der technische Akt wenig wert gewesen. Link, Kerkeling und das gesamte Team erzählen diese aber mit so viel Herz, so viel charmantem Witz und genau dem richtigen Tonfall, der sowohl die leisen, komödiantischen Elemente als auch die dramatischen Episoden verbindet, dass sich der Zuschauer hier hundert Minuten lang zwischen lautem Lachen und kleinen Tränen wiederfindet. Das Schmunzeln, das hat man hier bereits zu Beginn aufgelegt und wird auch, obwohl der Abspann hier doch etwas plötzlich rollt, mit einem solchen wieder entlassen.
Das Herzstück des Films ist eine grandiose Besetzung, die bis in die kleinsten Nebenrollen perfekt abgestimmt ist. Ob es sich dabei um Hapes Jugendfreunde handelt oder die von ihm persiflierten Kunden, die den Laden seiner Oma besuchen - jede Figur wurde schlichtweg perfekt besetzt. Am Ende steht dort ein Ensemble, welches sowohl die einzelnen Rollen in Perfektion ausfüllt und trotzdem perfekt zusammenspielt. Niemand spielt sich unangenehm in den Vordergund, weswegen alle Schauspieler in ihren Rollen so gut aufgehen. Jeder von ihnen, über die großartige Ursula Werner als Hapes gutmütige Großmutter, "Kokowääh"-Star Sönke Möhring und vor allem Luise Heyer als seine überforderten Eltern oder auch die einzelnen Mitglieder der Familie Kerkeling: Sie alle brillieren und die Schauspieler bedanken sich dabei bei einer perfekten Charakterisierung, die auch Nebenfiguren durch teils kleine Szenen nachhaltig ins Gedächtnis spielt. Verbinden tut dies alles natürlich der junge Julius Weckauf, der dem jungen Hape nicht nur erstaunlich ähnlich sieht, sondern mit seiner leichtfüßigen, charmanten und unglaublich intimen Performance mehr als nur beeindruckt. Eine Karriere, von der man bereits jetzt noch sehr, sehr viel erwarten darf.

Fazit: Eine Geschichte aus der Kindheit von Hape Kerkeling, die sowohl Hapes erste Schritte hinein in den Entertainment-Bereich fasst als auch die Hintergründe seiner Familie erklärt. Mit Köpfchen, Charme und einer fabelhaften Besetzung spielt sich das deutsche Drama problemlos in die Herzen der Zuschauer - ein Hit!

Note: 2+





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid