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Hillbilly-Elegie

J.D. Vance (Gabriel Basso) ist sechsundzwanzig Jahre alt und hat einige wichtige Bewerbungsgespräche vor sich, die ihm ein Jurastudium aller erster Güte ermöglichen könnten. Als er während eines Dinners die schockierende Nachricht erhält, dass seine Mutter Beverley (Amy Adams) einen Rückfall ihres Drogenkonsums hatte und wegen einer Überdosis Heroin im Krankenhaus liegt, eilt ihr Sohn mit hohem Tempo in seine Heimat zurück und lässt dabei auch wichtige Bewerbungsgespräche liegen. Während des Besuchs in Kentucky erinnert sich J.D. auch an seine Kindheit, in welcher er unter dem wilden Erziehungsstil seiner Mutter zu leiden hatte und in seiner strengen Großmutter Mamaw (Glenn Close) die Frau fand, die ihm in die Spuren eines hoffnungsvolleren Lebens zurückgeholfen hat...

Die Memoiren des heutigen Kapitalmanagers J.D. Vance avancierten unter dem Titel "Hillbilly-Elegy" zu einem echten Verkaufsschlager und zu einem Roman, der den Zeitgeist der Leser mehr als nur traf. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich ein findiger Produzent dieser Geschichte annehmen würde, um ihr ein filmisches Denkmal zu setzen und der Streaminggigant Netflix veröffentlichte diesen Film dann auch passenderweise im Dezember, um ihn womöglich für die kommende Oscarsaison in Position zu bringen. Nicht wenige erwarteten deswegen natürlich einen echten Hit, der vor allem darstellerisch überzeugen sollte - schließlich tummelten sich die großen Namen nicht nur hinter der Kamera (Regisseur Ron Howard macht ja auch wirklich fast nur noch gute Filme), sondern vor allem auch vor ihr. Und wenn für die Memoiren eines Familiendramas solch gewichtige Namen wie Amy Adams, Glenn Close und Haley Bennett gewonnen werden konnten, dann erwartet man sich da schon einiges bei. Ein solch erwartetes Meisterstück ist der Film nun nicht geworden, er ist allerdings auch längst nicht so enttäuschend, wie es die meisten Kritiker hier vorsagen wollten.
Etwas weniger Hollywood-Glanz hätte es hier natürlich schon sein dürfen. Denn da die zugrundeliegenden Memoiren eine recht klare, aber auch sehr gewöhnungsbedürftige Message haben, musste da zugunsten einer besseren Verträglichkeit noch ein wenig Glanz drüber. Das Ergebnis ist ein Film ohne echte politische Hintergründe und auch ohne nötige Tiefen, welche die wahren Abrgünde der Familie Vance deutlicher erklären. Da wird sich zwar großflächig angebrüllt, da werden Schläge ausgeteilt und Hasstiraden ausgesprochen... woher dieser Teufelskreis nun aber kommt, dem die ganze Familie anheim fällt, das wird nie so richtig klar und die kurzen Szenen, in denen genau diese Fragezeichen beleuchtet werden sollen, funktionieren auch nur auf der Behauptungsebene. "Rush"-Regisseur Ron Howard inszeniert dabei solide, kann den eigentlich dreckigen, schmerzhaften Plot aber niemals so filmen, wie es eigentlich sein müsste. Deswegen wirkt der Schrecken auch selten wirklich schrecklich, da man wohl mehrfach mit der Schere ansetzte - all zu viel familiäres Grauen will man dem unbedarften Zuschauer dann doch nicht zumuten. Deswegen gibt es mehr Herz, aufbauende Sprüche und einen vollkommen unpassenden, kitschigen Soundtrack von Blockbuster-Komponist Hans Zimmer. Dieser soll uns daran erinnern, dass es immer noch Hoffnung gibt... schade, dass die Message des Films angesichts einer solch kaputten Ausgangslage so platt ist, auch, wenn sie in diesem Falle natürlich mehr als gut gemeint ist.
Man will aber nicht zu böse sein, denn "Hillbilly-Elegie" hat auch eine Menge auf der Habenseite. Die ausführlichen Flashbacks in J.D.'s Jugend wissen zu gefallen und haben viele starke Einzelszenen zu bieten. Auch die als Aufhänger funktionierende Plot eines erwachsenen J.D., der sich zu seiner Familie aufmacht, aber auch an seine eigenen Ziele denkt, funktioniert in diesem Rahmen und Gabriel Basso agiert als Gegenstück seiner White-Trash-Familie sehr solide. Die Show gestohlen wird ihm dabei natürlich von Amy Adams und Glenn Close: Beiden kann man nur gratulieren, dass sie eigentlich mehr als nur klischeehafte Rollen aus eben diesem Klischee befreien und ihre Figuren eben nicht zu dem White-Trash machen, der eigentlich vorgesehen war. Ganz besonders "Albert Nobbs"-Star Close erreicht hier mit Kraft und Stärke, aber auch mit ganz kleinen, leisen Blicken unter ihrer herausragenden Maske ein Mindestmaß an Emotionen. Adams hat es im direkten Vergleich schwerer, da ihr Part noch etwas undankbarer ausgefallen ist, kann sich aber dennoch stark freispielen. In Nebenrollen gefallen zudem Haley Bennett und "Slumdog Millionär"-Star Freida Pinto, welche das bisweilen recht rabiate Geschehen mit Stille und Standhaftigkeit erden. 

Fazit: Der ganz große Oscar-Wurf ist Ron Howard mit diesem Familiendrama nicht gelungen, dafür ist das Skript schlichtweg zu simpel, die Messages und einzelnen Dramen zu kitschig aufgerührt. Rein schauspielerisch ist der Film dafür ganz stark besetzt und auch die Flashbacks in die Jugend des Protagonisten wissen zu gefallen.

Note: 3





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