Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden und wird schließlich zum grausamsten, einschneidensten Ereignis: Martha Weiss (Vanessa Kirby) verliert ihre Tochter kurz nach der Geburt. Wochen später hat der traumatische Verlust ihr Leben vollends auf den Kopf gestellt - von ihrem Partner Sean (Shia LaBeouf), Vater des verstorbenen Kindes, hat sie sich scheinbar vollkommen entfremdet und ihr eigenes Leben nimmt sie nur noch apathisch wahr. Marthas Mutter Elizabeth (Ellen Burstyn) drängt ihre Tochter, endlich aufzustehen und einem Gerichtsprozess gegen die anwesende Hebamme Eva Woodward (Molly Parker) beizuwohnen. Während Marthas Familie die Anklage vorbereitet, sitzt der Schmerz für eben jene jedoch noch viel zu tief, um sich jetzt um das dabei herausspringende Geld und eine Art von Gerechtigkeit zu kümmern...
Die ersten dreißig Minuten des ersten Netflix-Originalfilms, der im Jahr 2021 zu sehen war, gehören zum Intensivsten, was man derzeit auf der Streamingplattform sehen kann. In einer rund zwanzigminütigen Plansequenz, vollkommen ohne Schnitt und mit einem Puls, der sich über jegliche Emotionen immer tiefer bis zu seinem alptraumhaften Schluss paukt, sehen wir die schicksalsschwere Geburt der Protagonistin. Von dem anfänglichen Glücksgefühl und gar leisem Humor zu der ersten Angst und hin zur brutalen Realität zieht Regisseur Kornel Mundruczo die Spannungsschrauben immer höher. Die brillante Kamera tut ihr Übriges, um drei fabelhafte Schauspieler auf der Höhe dessen, was darstellerisch möglich ist, einzufangen. Die Performance von "Ein ganzes halbes Jahr"-Star Vanessa Kirby ist mit "mutig" noch nicht genug umschrieben - sie zerreißt sich förmlich selbst. Neben ihr brillieren Shia LaBeouf und Molly Parker als Stütze und emotionaler Halt, bis auch sie von dem Ende der Nacht förmlich aus allen Angeln gehoben werden. Eine Szene in cineastischer Brillanz, die für schweißnasse Hände sorgt und schlichtweg meisterhaft inszeniert ist.
Erst nach dieser halben Stunde rollt dann auch der Titel und "Pieces of a Woman" beginnt erst dann seinen wirklichen Plot. Dass man die Intensität des langen Intros nicht mehr übertreffen kann, ist im Grunde keine Überraschung, doch auch darüber hinaus schlägt sich das Drama mehr als wacker. In brutal ehrlichen und entlarvenden Szenen wird Marthas Leben nach dem Schicksalsschlag dokumentiert, wobei Mundruczo seine Protagonisten als Missetäter zeigt, sie aber nicht verurteilt. Er findet den passenden Ton für gleich mehrere Leben, die in Scherben liegen, zeichnet ein düsteres Bild davon, wie eine Beziehung zerstört werden kann, obwohl im Kern niemand der beiden eine ehrliche Schuld daran trägt. Auch in diesen Teilen des Films brilliert Vanessa Kirby - auch wenn sie den Oscar, für den sie nominiert ist, wohl leider nicht an sich nehmen wird, ist es ein Zeichen für eine der kraftvollsten und markerschütterndsten Performances der letzten Monate. Verneigen muss man sich auch vor "House of Cards"-Star Ellen Burstyn, die besonders in einem feurigen Monolog alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und auch vor Shia LaBeouf, der seine unangenehm gezeichnete Rolle auch in den schwierigsten Szenen mit ungemeinem Mut und nuanciertem Spiel darbietet. Nicht leicht ist es, neben Kirby zu bestehen, aber LaBeouf hält mehr als kraftvoll mit.
Ein absolut perfektes Drama ist "Pieces of a Woman" letztendlich aber nicht geworden. Die Handlung vollführt immer wieder ein paar merkwürdige Sprünge, was vor allem der Beziehungsgeschichte zwischen Martha und Sean nicht zu Gute kommt. Es vergehen immer wieder mehrere Wochen während einzelnen Ereignissen, was auch zu emotionalen Sprüngen für die Charaktere wird - trotzdem fühlen sich einige plötzliche Eskalationen für den Zuschauer sehr ruppig an. So überzeugt dann auch nicht jeder Subplot und das emotionale Finale vor Gericht schließt zwar zufriedenstellend ab, doch wird man das Gefühl nicht los, dass aus dem zweischneidigsten Konflikt (den der "Schuld" der Hebamme) noch mehr hätte rausholen können... besonders bei einer ebenfalls so gnadenlos guten Leistung von Molly Parker. Das ist dann zwar Jammern auf hohem Niveau, da einzelne Szenen noch immer einen wahnsinnigen Impact haben und die Schauspielduelle hervorragend auf den Punkt inszeniert sind, doch ist die emotionale Fallhöhe von grandiosen hin zu etwas langwierigen Szenen recht groß. Oft hat man das Gefühl, wichtige Momente nicht sehen zu dürfen, während andere umso länger ausgespielt werden. Das trifft uns zwar immer wieder ins Herz und noch öfter brutal in die Magengegend, doch mit einer etwas genaueren Fokussierung hätte uns dieses Drama vielleicht noch wesentlich härter erwischen können.
Fazit: Intensives Drama eines Schicksalsschlages, von allen Seiten herausragend gespielt. Nach einem schlichtweg meisterhaften, unangenehmen ersten Akt steckt das persönliche Drama aufgrund einiger Fokusschwächen zurück, sorgt aber dennoch immer wieder für ganz große Momente.
Note. 2-
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