Das düstere Land Ravka ist vom Krieg zerfressen - eine mächtige, dunkle Wolke, "Schattenflur" genannt, trennt Ravka in einen östlichen und westlichen Bezirk. Nur mutige Krieger, unter ihnen die mit seltenen Fähigkeiten gesegneten Grisha, wagen sich durch die von blutrünstigen Monstern bevölkerte Finsternis. Das Land wartet auf das Erscheinen einer geheimnisvollen Sonnenkriegerin, die laut einer Legende dazu fähig sein soll, die Schattenflur zu vernichten und wieder Frieden ins Land zu bringen. Ausgerechnet der wegen ihrer Herkunft ausgestoßenen Kartographin Alina Starkov (Jessie Mei Li) scheint diese Aufgabe nun zuzufallen - sie soll, wie sich nach einer Reise durch die Schattenflur herausstellt, die langersehnte Sonnenkriegerin sein. Mehrere Fraktionen wollen anschließend die Gunst der jungen Frau gewinnen, die nicht nur mit ihrer Position und den Erwartungen an sie hadert, sondern auch von ihrem Jugendfreund Mal (Archie Renaux) getrennt wird, der anschließend drauf und dran ist, Alina ausfindig zu machen...
Eine Klarstellung gleich zu Beginn: Nein, "Shadow and Bone" ist nicht das neue "Game of Thrones" - da haben die gewaltigen Vorschusslorbeeren auf diversen Internetforen ein wenig übertrieben. Aber die Freude über dieses Projekt, beruhend auf den Fantasy-Büchern von Leigh Bardugo, ist trotzdem mehr als nachvollziehbar, denn man muss ja nicht gleich den Thron der besten Fantasy-Serie aller Zeiten angreifen können, um oben mitzumischen. Dass "Shadow and Bone" nicht an die Ränkespiele rund um die Starks und Targaryens herankommt, ist zum einen dem etwas schwerfälligen Start in die Welt von Ravka zu verdanken. Wo andere Fantasy-Epen insbesondere ihren Schauplatz detailliert vorstellten, braucht man hier eine ganze Weile, um sich klar darüber zu werden, was das hier alles eigentlich soll. Denn über den im Kern simplen Plot einer rettenden Sonnenkriegerin hinaus fragt man sich schon, wer hier gegen wen Krieg führt, was es außerhalb von Ravka noch gibt und wieso einzelne Figuren was genau tun. Schuld daran ist ein fehlendes Worldbuilding, welches einem die Geschichte hinter dem, was wir zu sehen bekommen, zumindest ansatzweise darlegt. Stattdessen konzentriert man sich lieber auf die Abenteuer der einzelnen Figuren, die tatsächlich wunderbar geschrieben sind... bis man sich in diese wirklich richtig hineinversetzen kann, vergeht aber eine gewisse Weile.
Man sollte der Serie ungefähr drei Episoden Zeit geben, während welcher man sich an der fantastischen Optik und vielen kreativen Ideen sattsehen kann. Dann dürfte man weit genug drin sein, um mit den Figuren mitzufiebern und ihren Ränkespielen zu folgen - Fantasy-Herzen werden dann auch mit einigen bombastischen Szenen erhellt, die mehr als nur Kinofeeling mitbringen. Ausstattung, Setting, Soundtrack und die visuellen Effekte bewegen sich auf sehr hohem Niveau und sind der Konkurrenz absolut ebenbürtig. Und sobald man die Figuren schließlich ins Herz geschlossen hat und das Tempo in der zweiten Hälfte noch einmal erhöht wird, hat man sich verknallt. Sicher, nicht alles funktioniert auch in diesen Momenten perfekt - so ist der etwas unglücklich nebenherlaufende Plot um die entführte Grisha Nina eigentlich eine recht dreiste Kopie der Geschichte von Jon Schnee und Ygritte aus "Game of Thrones" und manch ein kitschiges Genre-Klischee kann man sich hier auch nicht verkneifen. So beeindruckend die Serie auch aussieht und ihren Adrenalinpegel immer höherschraubt - manch einen Dialog über Macht, Vorbestimmung und das "Licht" hätte man auch weniger hölzern anlegen können. Die zumeist frischen Gesichter in der Besetzung gehen aber spielerisch genug mit den Texten um, um solcherlei Mankos auszugleichen. Eine ganze Reihe junger Neutalente kann sich hier redlich beweisen und die wenigen großen Namen in der Besatzung (unter anderem der aus der "Narnia"-Filmreihe bekannte Ben Barnes und "Harry Potter"-Star Zoe Wanamaker) fügen sich mit starken Performances nahtlos ein.
Die Story wartet mit einigen hübschen Wendungen auf und bietet dank eines hohen Tempos, vermischt mit sehr charmanten Charaktermomenten, praktisch keine Langeweile. Und in einigen Momenten und Szenen geht die Serie dann auch so rabiat mit wichtigen Handlungsträgern um, dass man sich kaum sicher sein kann, ob die eigenen, ins Herz geschlossenen Favoriten das Ende der laufenden Episode noch erleben. Die Charaktere sind ebenso divers wie glaubwürdig gezeichnet, die innere Logik der Story macht Sinn und auch das Spektakel wird besonders in den letzten Folgen nicht außer Acht gelassen. Das ist dann nicht so tief, so komplex wie andere Serien und Filme dieses Genres, aber bietet dennoch wesentlich mehr als ein Großteil der blassen Konkurrenz. Trotz deutlicher Schwächen ist man nach einem starken Staffelfinale dann so sehr am Haken, dass man sich auf eine zweite Season freut - hoffen wir also, dass Netflix diese sehr vielversprechende Serie nicht gleich wieder absägt, nachdem so viel Werbung mit ihr gemacht wurde. Das Potenzial, mit weiteren Staffeln nämlich doch noch aufzusteigen und sich in den Olymp der Fantasy-Shows zu hieven, ist definitiv da. Und ich habe bereits jetzt Lust auf weitere Ausflüge nach Ravka... um diesmal vielleicht etwas mehr über diese faszinierende Welt zu erfahren.
Fazit: Nach einem etwas schwerfälligen Start, der an einem misslungenen Worldbuilding krankt, ist man alsbald von den sympathischen Figuren, der grandiosen Optik und der spannenden Handlung fasziniert. Ein paar Schwächen müssen noch ausgemerzt werden - wenn das geschieht, hat "Shadow and Bone" das Zeug dazu, eine der großen Fantasy-Shows unserer Zeit zu werden.
Note: 3+
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