Am sechsundzwanzigsten November 2008 ereignet sich im Herzen von Mumbai ein beispielloser Akt des Terrors: Zehn Männer überfallen die Stadt an verschiedenen Standpunkten, schießen um sich und töten hunderte Menschen. Vier von ihnen dringen auch in das stark besuchte Hotel Taj Mahal Palace ein und fordern etliche Opfer. Während sich der mittellose Kellner Arjun (Dev Patel) mit mehreren Gästen im dortigen Restaurant versteckt, verbarrikadieren sich andere Gäste in ihrem Zimmern. In einem grausamen Todeskampf versuchen die anwesenden Gäste und Mitarbeiter des Hotels, lebend aus dem Anschlag herauszukommen. Doch die Terroristen, die eben diesen koordiniert und gnadenlos durchtakteten, scheinen jeden Ausgang verriegelt zu haben. Eine versteckte Lounge im sechsten Stock scheint die letzte Hoffnung für die noch Lebenden zu sein...
Einen realen Terroranschlag (und dann gleich einen einer solchen Größe) filmisch aufzuarbeiten, bringt immer Gefahren mit sich - etliche Fallstricke tun sich auf und im schlimmsten Fall kann man das schier unvorstellbare Drama von hunderten Angehörigen der wahren Opfer nutzen, um voyeuristisch einen Hollywood-Thriller daraus zu stricken. Und dann suchte sich Regisseur Anthony Maras für sein Spielfilm-Debüt auch noch einen solchen Stoff aus - sehr mutig, aber auch eine sehr wichtige Entscheidung. Maras hat sich letztendlich für einen Weg entschieden, der alles andere als angenehm ist, dabei aber dem wahren Schrecken dieser leidvollen Stunden so nahe kommt, wie es ein Film nur kann. Über zwei Stunden lang entfacht er ein Inferno von beinahe apokalyptischem Ausmaß, entwirft ein grauenvolles Massaker, dessen Bilder sich unaufhörlich in den Kopf des Zuschauers einbrennen werden. Debei ergötzt er sich aber nicht am Leid der Opfer, was auch einem Frevel gleichgekommen wäre. Stattdessen rekapituliert Maras die Abläufe und auch die Gräueltaten im titelgebenden Hotel (die anderen Schauplätze des Terrors werden nur in kurzen Szenen aufgenommen) so haargenau, dass nicht nur ein ungemein spannender, sondern auch auf dramatischer Ebene unglaublich intensiver Film herausgekommen ist.
Ich kann mich zumindest nicht erinnern, wann mich jemals eine filmische Aufarbeitung eines realen Terroranschlags aufgrund seiner drastischen, kaltblütigen Bilder und seiner vehementen, beinahe grausam-ekstatischen Inszenierung jemals so gepackt und schockiert hat. Maras gibt dem Grauen dieser Stunden ein Gesicht, auch wenn er dabei auf Fiktionen zugreifen muss. Mit einer einzigen Ausnahme entstammt keine der Figuren einem realen Vorbild, stattdessen stehen sie alle stellvertretend für die echten Opfer des Anschlags. Angesichts der besonders in der zweiten Hälfte sehr drastischen Bilder wäre eine echte Inszenierung der Opfer aber auch zu grausam gewesen, denn schon so spielt Maras hier hart an der Grenze zu dem, was noch erträglich ist. Lob zollen muss man ihm dafür, denn statt die Tragödie glattzubügeln erlaubt er sich hier auch in Sachen Brutalität, die wahren Ereignisse in all ihrer Schonungslosigkeit nachzustellen - so etwas haben wir in diesem Genre vielleicht noch nie gesehen. Dass es ihm dabei auch noch gelingt, einzelne Themen wie den Unterschied zwischen Arm und Reich, dem Generalverdacht aufgrund des Aussehens, die Schwierigkeiten der örtlichen Polizei und den Heldenmut der Mitarbeiter des Hotels klar aufzuziehen und zu diskutieren, scheint da beinahe unmöglich. Umso erfreulicher, dass sich Maras auch dieser Themen annimmt.
Eine klare Hauptrolle gibt es indes nicht, auch wenn "Lion"-Star Dev Patel mit einer meisterhaften Leistung als Unterschichten-Kellner hervorsticht. Eine ambivalente Figur ist zudem auch der von "Silver Linings"-Star Anupam Kher gespielte Chefkoch des Hotels, der die Sympathien der Zuschauer von Anfang an in der Tasche und später weit mehr als nur eine ganz große Szene hat... und all das ohne Hollywood-Kitsch. Generell wird der indische Blickwinkel der Geschichte noch etwas schärfer und doppelbödiger thematisiert als der westliche - Hollywood-Stars wie Armie Hammer und Jason Isaacs mühen sich redlich, können aus ihren etwas einseitig gezimmerten Rollenprofilen, trotz dramaturgischem Unterbau, wenig herausholen. Noch weniger charaktersiert werden die Attentäter, die nur über kurze Gespräche mit ihrem weit entfernten Anführer so etwas wie einen "Grund" für ihre Taten zu geben. Mehr als Schachfiguren in einem wirren Plan rund um Glaube und Vergeltung sind sie hier nicht, woraus man Maras keinen Strick drehen, sondern ihn eher nochmals loben sollte. Groß ist die Versuchung, auch die Antagonisten noch mit Tiefe auszustatten, doch ist es schier unmöglich, den Tätern solches Gräuels noch irgendein Gesicht zu geben. Stattdessen verlässt der Regisseur sich auf ihre kaltblütige Art und die Gespräche, die sie während den Massakern an Gästen und Angestellten führen, als würden sie sich gerade auf dem Weg in den Supermarkt befinden, lassen einen nochmalig das Blut in den Adern gefrieren.
Da der Film in seiner Inszenierung, der Wahrung seiner realen Begebenheit und der menschlichen Opfer als auch in Sachen Schonungslosigkeit und Realismus so herausragend funktioniert, fallen jedoch einige Ärgernisse um so mehr auf. Damit gemeint sind einige tumbe Klischees, denen Maras hier während des hochgefährlichen Spießrutenlaufs in den Hotelgängen erliegt. Um die Ausweglosigkeit der Situation immer weiter zu verschärfen greift er auf anfangs noch einfallslose, später aber regelrecht nervige Hindernisse zurück, die so vielleicht in einem trashigen Horrorfilm oder einem actionlastigen No-Brainer mit Bruce Willis angemessen gewesen wären, aber sicher nicht hier. Das Baby, dass ständig im schlechtesten Fall zu weinen beginnt; Handy-Akkus, die genau dann zur Neige gehen, wenn man gerade endlich einen Notruf absetzen könnte; und natürlich auch das Klischee, dass Personen, die sich gegenseitig suchen, sich auch haarscharf verpassen. Da "Hotel Mumbai" ein viel zu guter Film ist, um angesichts solch wackliger Spannungsspitzen noch zu versagen, will man ihm da gar nicht mehr böse sein - dass ein Film wie dieser, so energetisch und dramaturgisch hochrangig, allerdings überhaupt auf solcherlei Momente zurückgreifen muss, um die adrenalintreibende Intensiät absurdum zu führen, verärgert letztendlich ein wenig.
Fazit: "Hotel Mumbai" ist ein Paradebeispiel für die intensive, schockierende und maßlos spannende, filmische Aufarbeitung einer realen Terrortragödie. Realistisch, schonungslos und dabei dennoch mit Herz und Hirn packt einen die brutale Inszenierung von Anfang an und lässt uns, trotz einiger seltsamer Klischees, bis zum Ende und darüber hinaus nicht mehr los.
Note: 2+
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