Tagsüber pflegt Joe (Joaquin Phoenix) seine Mutter (Judith Roberts) und hilft ihr dabei, über ihre Demenz hinweg noch ein einigermaßen normales Leben führen zu können. Nachts arbeitet er in einem Job, der ein absolutes Geheimnis darstellt: Von seinen Kunden wird er beauftragt, verschwundene Kinder zu finden, die Opfer eines Sexhandels wurden... dabei macht es sich Joe zeitgleich zur Aufgabe, die Täter und Schänder brutal zu ermorden, bevor er die Opfer befreit. Sein neuester Auftrag sieht vor, die elfjährige Nina (Ekaterina Samsonov), Tochter des berühmten Senators Votto (Alex Manette) aufzuspüren und zu befreien. Dabei muss er jedoch auch seine eigenen Dämonen bekämpfen, die von seiner brutalen Vergangenheit und seiner latenten Einsamkeit herrühren...
Joaquin Phoenix hat seit Jahren keine Filme für die Masse mehr gemacht. Wenn man den Überraschungshit "Joker" rausnimmt (der ja eher aufgrund seines fehlgeleiteten Hypes zu einem Mainstream-Kracher wurde, ansonsten aber klar die Arthouse-Luft atmet), dann liegt der letzte Film, der sich der breiten Masse anbiederte und in welcher Phoenix in einer tragenden Rolle zu sehen war, bereits sechzehn Jahre zurück und hörte auf den Namen "The Village"... und wo M. Night Shyamalan draufsteht, da muss dann eben auch nicht zwangsläufig das Erwartbare drin sein. In diese Filmografie, die immer wieder Überraschungen aufwartet, passt auch "A Beautiful Day" hervorragend rein: Ein Film, der im Kern ein sehr simpler Rache-Thriller sein könnte und der das irgendwie auch ist. Er ist es und ist es doch nicht, da er sich einer solchen Dramaturgie konsequent verweigert. Das ist es, was diesem Werk gleichsam zu einem enormen Schub verhilft, ihn dann aber auch recht flott wieder auf den Boden zurückholt, wo er dann auch bleiben muss.
Die erste Hälfte dieses leisen und nur in kleineren Spitzen sehr brutalen Thrillers entführt uns dabei unaufgeregt und mit einer atmosphärisch dichten, manchmal gar verzerrenden Inszenierung in das Leben unseres Protagonisten. Und hier braucht Regisseurin Lynne Ramsay dann nur wenige Worte und Szenen, um ihren von Grund auf zerstörten Antihelden zu definieren. Das liegt zum einen daran, dass Ramsay die Handlung auf das absolut Nötigste reduziert (mit Abspann läuft der Film nur runde 85 Minuten), ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass Phoenix in solch kleinen Momenten so dermaßen viel zeigt. Es reichen diese Blicke, angereichert mit Ramsays großartigem Gefühl für Timing und Schnitt, um wie aus dem Nichts eine reiche und ausmusternde Figur zu kreieren. Jeder wird etwas anderem in diesem einsamen, mit sich selbst hadernden und eigentlich gar nicht mehr lebenden Mann sehen... aber jeder wird definitiv etwas sehen. Das ist eine großartige Leistung, die nichts vorwegnimmt und dennoch so ungemein viel zu erzählen hat. Selbst wenn Joe zu seinem Racheakt aufbricht, verliert diese menschliche Ader nichts von seiner traurigen Würde - auch nicht, wenn das Blut eines armen Teufels auf seinem Gesicht explodiert.
In der zweiten Hälfte hat mich "A Beautiful Day" dann aber ebenso rasch verloren wie er mich zuvor noch in seinen Bann gezogen hat. Die gnadenlos gute Leistung von Phoenix bleibt (da hat aber wohl auch niemand etwas Gegenteiliges erwartet), doch in Sachen Dramaturgie und Inszenierung verhebt sich das Werk letztendlich. Sicherlich ist es mutig, einen finalen Showdown mal ganz anders ablaufen zu lassen als es die Dramaturgie und die Charakterentwicklung bis dahin eigentlich vorschreiben würde. Sicherlich hebt diese wirre Inszenierung, in welcher Flashbacks wie Leuchtfeuer aufflammen, wie kleine Gedankenexplosionen, vieles auf und erleuchtet neu. Doch irgendwann reitet das Werk dann doch zu deutlich auf dieser "Kreativität" herum und schlägt sie dem Zuschauer immer wieder ins Gesicht. Ja, wir haben das Besondere verstanden, wir haben es begriffen, nun könnt ihr aufhören, mir dies immer wieder zu beweisen. Auf diesen Schritten verliert der Film dann nicht nur an Konsequenz, sondern auch an innerer Glaubwürdigkeit und wird weniger zu einem sensiblen, traumatischen Drama als viel mehr zu einer Art Blaupause für die Filmkunst. Die Technik läuft, doch das Herz hat sich verabschiedet.
Fazit: So sehr sich der Film müht, innerhalb seiner grotesk geradlinigen Handlung besonders und anders zu sein, so sehr ist man gebannt, wenn man die Hauptfigur begleitet. Später gleitet die emotionale Charakterstudie jedoch zugunsten eher haltloser Kunstgriffchen in übersensiblen Trauma-Quatsch ab.
Note: 3
Kommentare
Kommentar veröffentlichen