Bollywood hat mich irgendwie nie interessiert. Klar, ich weiß, dass es auch dort großartige Filme geben soll, zu mehr als einem kurzen Reinzappen hat es nicht gereicht, ehe mich der befremdliche Kitsch doch abgeschreckt hat. Ein interessantes Experiment also, welches der amerikanische Regisseur Danny Boyle anging, als er 2008 "Slumdog Millionär" drehte: Ein Bollywood-Film mit amerikanischem Umhang. Den Lohn gab es in Form von acht Oscars, unter anderem für den besten Film, einem gigantischen Hype und einer bis heute ungebrochenen Beliebtheit für das Werk. Und ja, auch ich bin noch immer vernarrt in diesen wunderbaren Mix aus Liebesgeschichte, Thriller und Drama...
SLUMDOG MILLIONÄR
Der junge Slumdog Jamal Malik (Dev Patel) nimmt an der indischen Ausgabe von "Wer wird Millionär?" teil und beantwortet zur Überraschung aller Zuschauer und des gesamten Teams eine Frage nach der anderen richtig. Man unterstellt ihm bereits Betrug, nimmt ihn sogar vorübergehend fest, um zu erfahren, wie ein ungebildeter, junger Mann wie er, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen, all diese Dinge wissen kann. Jamal erzählt, woher er all die Dinge weiß und gibt einem misstrauischen Polizeikommissar (Irrfan Khan) somit einen Einblick in sein Leben. Dabei kristallisiert sich heraus, dass Malik mit der Teilnahme an der Show ein ganz anderes Ziel verfolgt als das große Geld: Er sucht nach seiner Jugendliebe Latika (Freida Pinto)...
Danny Boyle hat mit seinem "Slumdog Millionär" einen eindrücklichen Film erschaffen, der den Nerv der Zeit und des Publikums traf und somit bis heute zu den größten Erfolgen des Regisseurs zählt, der bereits zuvor Klassiker wie "Trainspotting" gedreht hat. Acht Oscars nahm das Werk mit nach Hause und natürlich stellt sich dabei schon einmal die Frage, ob der Film einen solchen Preisregen überhaupt verdient hat. Das Werk ist großartig, das steht außer Frage, dennoch sind acht Oscars vielleicht dennoch ein wenig übertrieben, wenn man bedenkt, dass 2008 eben auch noch viele andere starke Filme über die Leinwände flimmerten.
Unübertroffen ist jedoch Boyles großartige Inszenierung, welche im Grunde mal wieder den Rahmen des Vorstellbaren sprengt. Boyle drehte an Original-Schauplätzen und verpflichtete für viele Rollen keine ausgebildeten Schauspieler, sondern tatsächliche Bewohner der indischen Slums. Das Ergebnis ist ein ebenso realistisches wie bedrückend echtes Abenteuer innerhalb der ärmsten Ecken des Landes, welches sich durchgehend ehrlich anfühlt. Wir haben Indien wohl noch in keinem Film so realistisch abgefilmt gesehen, was der Atmosphäre nicht nur dienlich ist, sondern sie maßgeblich beeindruckend bestimmt. Ebenfalls wirkungsvoll entfaltet sich dabei eine pjänomenale Kameraarbeit in Kombination mit einem rasanten Schnitt, was uns quasi in diese Welt hineinzieht. Boyle inszeniert Indien fast wie einen fiebrigen Traum, mal brutal und grausam, mal wunderschön und hoffnungsvoll. Die Kamera ist stets ganz nah an den Protagonisten, folgt ihnen über die Dächer der Slums, durch gigantische Baustellen und über von Menschen bedrängelte Bahnhöfe und erschafft so ein Bild eines Landes im ständigen Wandel, was man so auch noch nicht gesehen hat, stets getragen von einem grandiosen Soundtrack, der uns von melancholischen Gefühlen hinwegtreiben lässt, bis schließlich, ganz in der Tradition der Bollywood-Streifen, am Ende aufs Tanzparkett gebeten wird, zu den bravourösen Klängen des oscarprämierten Titelsongs "Jai Ho".
Danny Boyle ist sich der Traditionen des Bollywood-Kinos bewusst, reichert diese aber immer wieder mit Hollywood-Anleihen an, weswegen eine durchgehend sinnige und hervorragend erzählte Geschichte entsteht. Durch eine nicht chronologische Erzählweise, die zwischen Jamals Befragung auf dem Polizeirevier, seiner Teilnahme an der Gameshow und den Rückblenden seines früheren Lebens wechseln, entsteht ein regelrechter Sog aus Bildern, Ton und Farben, dem man sich kaum entziehen kann.
Manch einer wird dabei bemängeln, dass die grausame Brutalität Indiens durch die doch sehr märchenhafte Erzählung über das (Wieder)finden der wahren Liebe etwas weichgespült wird und tatsächlich wird dabei, auch aufgrund des sehr hohen Tempos, über manch eine schockierende Wendung zu schnell hinweggespult. Gerade die Beziehung zwischen Jamal und seinem Bruder Salim hätte noch ein wenig emotionales Futter vertragen können, leider fixiert man sich hierbei doch weitestgehend auf Jamals Suche nach Latika, was sicherlich packend und rührend erzählt wird, leider bleiben andere Figuren dabei jedoch etwas auf der Strecke. Das sind aber nur kleine Kritikpunkte, die das Filmvergnügen angesichts dieses nicht unbedingt massentauglichen, dafür aber packenden Werkes kaum schmälern.
Fazit: Danny Boyles Inszenierung ist ebenso packend wie mutig, die Geschichte wird rührend erzählt und scheut sich dabei auch nicht vor düsteren Passagen. Ein toller Film mit nur minimalen erzählerischen Schwächen, dafür aber fantastischen Bildern.
Note: 2
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