Im Jahr 1857 zieht die Besatzung des im Eis festgefrorenen Expeditionsschiffs Horisont einen beinahe toten Mann an Deck. Der Wissenschaftler Victor Frankenstein (Oscar Isaac) wird dabei offensichtlich von einem riesigen, unverwundbaren Ungetüm (Jacob Elordi) verfolgt und erzählt der Besatzung seine Geschichte. Vor einigen Jahren war Frankenstein demnach überzeugt davon, den Tod austricksen zu können, indem er einen toten Körper mittels neuester Technik zum Leben erweckte. Doch das reichte ihm nicht, weswegen er beschloss, aus verschiedenen Leichenteilen einen ganz neuen Menschen zu kreieren und diesen mit Leben zu füllen. Frankensteins nahezu groteske Ziele erweckten auch die Aufmerksamkeit des Waffenhändlers Heinrich Harlander (Christoph Waltz), der den Wissenschaftler bei seinen Experimenten unterstützen will... auch für eigene Zwecke. Was sie dabei jedoch erschaffen, entspricht so gar nicht Frankensteins Vorstellungen - denn es ist etwas gänzlich anderes, als er zuvor erwartet hat.
Wenn der meisterhafte Fantasy-Regisseur Guillermo Del Toro sich an einer Neuauflage des Frankenstein-Mythos versucht, dann sind davon vorab erstmal alle begeistert. Auch Netflix erhofft sich von diesem großen Blockbuster augenscheinlich jede Menge und ließ den Film rund zwei Wochen im Kino laufen, bevor er auf dem Streamingportal aufschlug, um anschließend auch bei den Oscars mitmischen zu können. Und auf manch eine Trophäe darf sich Frankenstein sicherlich Hoffnung machen, auch wenn dabei vor allem die technischen Kategorien im Vordergrund stehen dürften. Denn natürlich ließ man sich lumpen und stellte Del Toro ein stattliches Budget zur Verfügung, welches man dann auch durchweg auf dem (hoffentlich ausreichend großen), heimischen Bildschirm zu sehen bekommt. Neben der fantastischen Kameraarbeit und dem grandiosen Make Up sorgt hier vor allem das Setdesign für Begeisterung. Zumeist ohne Greenscreens, sondern mit ehrlicher Handarbeit, entstanden hier so imposante Sets, dass man sich angesichts solch wunderschön komponierter Bilder regelrecht verlieren kann. All das wird untermalt von einem zurückhaltenden, aber zugleich auch ungemein schönen Soundtrack von Harry Potter-Komponist Alexandre Desplat.
Darüber hinaus wird Frankenstein bei den Oscars aber wenn überhaupt wohl nur eine Außenseiter-Position einnehmen und Del Toro wird hier sicherlich nicht eine weitere Auszeichnung erhalten, nachdem er vor rund acht Jahren mit Shape of Water den großen Gewinn an Land zog. Das liegt einerseits natürlich daran, dass wohl so ziemlich jeder die Geschichte des wahnsinnigen Wissenschaftlers Frankenstein und seines zutiefst missverstandenen "Monsters" kennt. Del Toro hüllt die Geschichte zwar in optischen Bombast und verankert sie damit erfolgreich in der filmischen Moderne. Auf reiner Handlungsebene erlaubt er sich jedoch nur wenige Abweichungen, was dazu führt, dass einem hier vieles bekannt vorkommt. Ob nun die (nicht sonderlich überraschende) Erkenntnis, dass der Mensch definitiv das eigentliche Monster ist oder doch die etwas hanebüchene und bisweilen arg kitschige Liebesgeschichte - wir kennen das halt alles schon. Was nicht heißt, dass die Geschichte nicht trotzdem begeistert und angesichts einer Laufzeit, die sich viel Zeit für die Figuren nimmt, noch etwas mehr Augenmerk auf die zutiefst dramatischen und tragischen Erlebnisse der gegen ihren Willen erschaffenen Kreatur legt. Im direkten Vergleich bleibt die ausführliche Hintergrundgeschichte rund um Frankenstein selbst aber etwas zahm und erlaubt sich auch einige dramaturgische Stolpersteine, die seinen Charakter im Umkehrschluss recht eindimensional wirken lassen.
Eine Schwäche, gegen die Oscar Isaac erwartungsgemäß mit aller Wucht ankämpft. Der Star Wars-Star sowie der wie immer brillante Jacob Elordi, der selbst hinter seiner riesigen Maske noch ungemein viele Nuancen aus der an sich eigentlich sehr limitierten Rolle hervorholt, machen ihre Sache gewohnt gut und versuchen immer wieder, den bekannten Charakteren ein paar neue Seiten abzugewinnen oder die vorhandenen zumindest zu vertiefen. Auch Oscarpreisträger Christoph Waltz macht seine Sache sehr solide, auch wenn man ihm anmerkt, dass diese Produktion wohl nicht unbedingt sein großes Prestige-Projekt war. Überraschenderweise ist es allerdings die sonst stets großartige und für solcherlei Produktionen eigentlich perfekte Mia Goth, die ein wenig blass bleibt. Das mag auch an der bereits erwähnten, etwas zu simpel geschriebenen Liebesgeschichte liegen, allerdings gelingt es Goth nicht, hinter ihren prunkvollen Kleidern noch mehr Leben aus ihrer recht holzschnittartigen Figur herauszuholen. Wobei das immer noch Jammern auf hohem Niveau ist, denn auch wenn ihr an manchen Ecken und Enden nicht alles stimmt und sich vor allem an dem in dieser Hinsicht wirklich neuen Finale die Geister scheiden dürften: Frankenstein ist großartig bebildertes, opulentes und dramatisches Fantasy- und Horror-Kino, welches alles drin hat, was man bei diesem Namen erwartet. Aber eben auch nicht mehr.
Fazit: Frankenstein ist ein guter Film, aber kein außergewöhnlicher. Wer aufgrund Guillermo Del Toros Liebe zu dem klassischen Stoff mit mehr als nur einem großartig bebilderten, stark gespielten und anrührenden Blockbuster gerechnet hat, dürfte dementsprechend eine kleine Enttäuschung erleben. Erfreuen kann man sich dennoch an dem brillanten Setdesign und der zeitlosen, immer noch packenden Geschichte, auch wenn hier nur wenige Variationen gewagt werden und der Film auch ein wenig das Opfer seiner eigenen Überlänge ist.
Note: 3+
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