Für die junge Elvira (Lea Myren) gibt es nur einen Traum: Sie will den wunderschönen Prinzen Julian (Isac Calmroth) betören und schließlich heiraten. Da der Prinz bald einen großen Ball geben und unter all den einschwirrenden Damen seine große Liebe aussuchen möchte, ist Elvira natürlich völlig hingerissen und möchte sich für das große Event möglichst in Schale werfen. Das Problem ist, dass Elvira so ganz und gar nicht den Schönheitsidealen der damaligen Zeit entspricht und sich auf Drängen ihrer selbst, aber auch ihrer Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) diversen Operationen unterzieht, die mit ungemeinen Schmerzen und Leiden verbunden sind. Und dann wäre da auch noch Elviras schöne Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Naess), die aufgrund ihrer natürlichen Ausstrahlung eine erhebliche Konkurrenz darstellen könnte. Um dem Prinzen definitiv zu gefallen, legt sich Elvira daher nicht nur mit Agnes an, sondern stellt auch ihren Körper und ihren Geist vor Herausforderungen, die schier unmenschlich sind...
Ja, das hier ist natürlich eine neue, ausgesprochen düstere Variante des bekannten Aschenputtel-Märchens. Aber keine Sorge: Wir befinden uns hier nicht in den filmischen, banalen Abgründen der typischen Horror-Neuverfilmungen von bekannten Disney-Stoffen, bei denen das Urheberrecht an diversen Figuren ausgelaufen ist, was schließlich zu einer Wagenladung billigstem Slasher-Stoff a la The Mouse Trap resultierte. Nein, das hier hat nichts mit irgendwelchen auslaufenden Lizenzen zu tun, sondern ist ein durchweg origineller, sehr fieser und ungemein intensiver Versuch, Cinderella in jeglicher Hinsicht komplett auf links zu drehen. Das zeigt alleine schon die Entscheidung, das Märchen, welches hier erst später überhaupt noch in Ansätzen wiederzuerkennen ist, diesmal nicht aus der typischen Sichtweise des armen, schuftenden Mädchens zu erzählen, sondern aus der Sicht einer der "bösen" Stiefschwestern. Und wie die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt diese all zu sattsam bekannten Charakter-Muster in ihrer mutigen Neuinterpretation teils abändert, teils aber auch durch neue Blickwinkel unterstreicht oder verschiebt, ist packendes, europäisches Kino.
Ähnlich wie im in der Moderne spielenden The Substance dreht sich die Message hier natürlich vor allem um Schönheitsideale. Um den Zwang, seinen Körper und sogar seinen Geist so sehr zu verändern, um irgendwem zu gefallen, dass man völlig den Bezug zur Realität verliert. In einer Zeit, in der vor allem Frauen solcherlei "Maßstäben" immer wieder brutal ausgesetzt sind und in der Instagram und Co. uns völlig unsensibel aufzeigen, wie genau denn eine schöne Frau oder ein schöner Mann auszusehen hat, ist das ein Thema, welches definitiv einen Nerv trifft. Und wenn man in der Zeit zurückrudert, als Frauen im Grunde noch wie Fleischstücke auf irgendwelche Bälle geschleift wurden, um dort mit klimpernden Wimpern und schneeweißen Zähnen irgendwelche reichen Männer zu beeindrucken, denen sie zuvor noch nie begegnet sind, kann sich einem gleich doppelt der Magen umdrehen. Regisseurin Blichfeldt schlägt dabei zwar gleich mehrfach volle Kanne mit dem Holzhammer zu, doch ihre fiesen Messages bleiben trotzdem hängen und erlauben zudem eine ebenso glaubwürdige wie tiefschürfende Psychologie einer Figur, die innerlich immer wieder zwischen Hässlichkeit, Ohnmacht und absolutem Irrsinn taumelt... so sehr, dass sie uns ebenso leidtut wie wir sie verachten wollen.
Das ist also schon ein ziemlicher Brocken, den man hier zu schlucken hat und The Ugly Stepsister macht es uns gerade mit seiner Hauptfigur nicht leicht. Sie zu verurteilen ist angesichts der völlig kranken Sichtweisen der Menschen um sie herum, denen sie sich fügen muss (und möchte!) kaum möglich. Was sie sich und auch anderen Menschen jedoch antut, um diesem Ziel gerecht zu werden, lässt sie uns hassen, bis wir am Ende doch wieder Mitleid empfinden. Und angesichts der drastischen, körperlichen Maßnahmen, die Elvira im Verlauf der 109 Minuten über sich ergehen lassen muss, ist ein solches Mitleid quasi zwangsläufig auszusprechen. Wobei man konstatieren muss, dass sich zwar einige sehr, sehr grafische Szenen in diesem Film finden, bei denen sogar ich aufgrund von reinem Ekel den Blick abwenden musste... und wobei besonders ein Moment heraussticht, in welchem sich das Ergebnis eines wirklich vollkommen geisteskranken Versuchs der Mega-Diät in einem schier grausamen, brechreiz-erregenden Bild zeigt. Noch viel schlimmer gerät jedoch der unsichtbare Teil des Prozederes. Nachdem wir nach rund einer halben Stunde von einem gewissen Detail in Elviras Körper wissen, schlägt uns eben diese Information im weiteren Verlauf immer wieder auf den Magen - im wahrsten Sinne des Wortes. Die genial gewählten Tonspuren, bei denen alleine ein seltsames Magengrummeln bereits für viel Unwohlsein sorgt, tun dabei ihr Übriges und sorgen dafür, dass The Ugly Stepsister trotz manch einer Länge auf physischer und psychischer Ebene ein wahrer Horror ist, der noch lange nachwirkt.
Fazit: Das Ganze mag mit der absoluten Holzhammer-Methode inszeniert sein, verfehlt angesichts extrem grafischer und intensiver Bilder sowie einigen ungemein intensiven, psychischen Leidenswegen dennoch seine Wirkung nicht. In vielen Momenten ist das hier eine echte Nerven-Prüfung für Body-Horror-Enthusiasten, wobei die ebenso traurige wie beschämende und sogar erzürnende Message dieses hochaktuellen Films noch lange nachhallt.
Note: 2
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