Direkt zum Hauptbereich

Das siehst du niemals kommen: Filmkritik zu "Missing (2023)"

Ohne jede Vorwarnung verschwindet die Mutter Grace Allen (Nia Long) - kurz zuvor war sie mit ihrem festen Freund Kevin (Ken Leung), von dem nun ebenfalls jede Spur fehlt, zu einem Urlaub nach Kolumbien aufgebrochen. Grace's Tochter June (Storm Reid) stellt kurz nach dem Verschwinden ihrer Mutter eigene Nachforschungen an, indem sie das Internet schier auf den Kopf stellt. Während die Ermittlungen der Polizei alsbald im Sande zu verlaufen drohen, kommt June jedoch mithilfe ihres eigenen Köpfchens und der Unterstützung einiger unerwarteter Verbündeter einem Kriminalfall auf die Spur, den sie sich in dieser Form niemals hätte ausmalen können...

"Missing" ist quasi die Fortsetzung im Geiste des Thriller-Überraschungserfolgs "Searching" aus dem Jahr 2018. Dabei teilen sich beide Filme im Grunde die gleichen Qualitäten und Ideen: "Missing" ist ebenfalls ein Desktop-Thriller, der seine gesamte Handlung einzig und allein über die Bildschirme von Laptops vorantreibt. Google-Recherchen, Facetime-Anrufe, YouTube-Videos... über all diese Internetszenen eentwickelt sich erneut ein spannender Krimi, der besonders in der ersten Hälfte dank seines höheren Tempos und einer ebenso simplen wie spannenden Ausgangslage fantastisch unterhält. Da hilft es auch, dass mit der aufgeweckten June nun eine Teenagerin im Fokus steht, die das Internet durchweg besser zu nutzen weiß als der in dieser Form noch etwas unerfahrene Vater aus dem ähnlich gearteten (und hier auch kurz zitierten) "Searching". Der Film nimmt schnell an Schwung auf und zieht uns durch clever ausgelegte Fährten und Brotkrumen immer tiefer hinein in diesen Kriminalfall, der sich alsbald gewitzt um sich selber dreht.
Das Drehbuch sorgt in der ersten Hälfte dafür, dass wir gleich mehrere Charaktere verdächtigen, irgendwie in diesem Treiben mitdrinzuhängen. Vertrauen ist Mangelware, nur wenige Figuren verdienen dieses letztendlich. Falsche Fährten sowie kleine Hinweise, die erst unwichtig erscheinen und später noch mit ganzer Power ihre Wichtigkeit preisgeben, finden sich hier ebenso wie kleine, emotionale Momente. Der Film beweist ebenso wie "Searching", was oberflächlich erscheinende Dinge wie ein Laptop-Desktop oder ein Google-Suchverlauf über einen Menschen erzählen zu können und die Macher nutzen diese eingrenzende Inszenierung immer wieder bis zum Äußersten, um die wenigen Figuren angemessen zu formen. So bekommen diese Charaktere genau das richtige Maß an Futter und "Der Unsichtbare"-Star Storm Reid weiß in der Hauptrolle absolut zu glänzen. Neben bekannten Gesichtern wie dem aus der Mystery-Serie "Lost" bekannten Ken Leung verdient sich auch Joaquim De Almeida eine stilvolle Extrabetonung, denn der ist als sympathischer und emotional gebrochener Verbündeter am anderen Ende der Welt schlichtweg eine echte Bank.
Leider (und auch diesen Kritikpunkt teilt man sich mit "Searching") hält der Film sein Tempo zwar hoch, erkauft sich diesen Standpunkt aber durch eine Aneinanderreihung von überraschenden Wendungen, welche die innere Glaubwürdigkeit der Geschichte oft ad absurdum führen. Der erste Schockmoment aufgrund einer überraschenden Enthüllung weicht recht schnell einem genervten Kopfschütteln, wenn man diese Wendungen dann doch als arg weit hergeholt erfasst: Die Macher müssen sich weit aus dem Fenster lehnen, um die sich irgendwann fast verselbstständigende Geschichte mit all ihren falschen und richtigen Abzweigungen noch unvorhersehbarer zu gestalten als sie es ohnehin schon ist. Dabei schießen sie besonders in der letzten halben Stunde viel zu weit übers Ziel hinaus, wenn es sogar noch einen actionlastigen Showdown geben muss. Zu diesem Zeitpunkt verlor "Missing" mich leider - er bleibt zwar durchweg hochspannend, kann dies jedoch nicht mehr auf einer cleveren Ebene tun. Somit dümpelt der Film, obwohl er immer hastiger und flotter wird, je weiter er läuft, doch eher aus.

Fazit: Zumindest in der ersten Hälfte ist "Missing" ein Vorzeige-Thriller mit sympathischen Figuren, einem hervorragenden Mysterium und spannenden Kniffen. Das hohe Tempo wird später jedoch mit immer mehr skurillen Wendungen erkauft, die die innere Glaubwürdigkeit der Geschichte bis zum Äußersten überstrapazieren.

Note: 3+



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid