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Brendan Frasers Wahnsinns-Oscar: Filmkritik zu "The Whale"

Seit Jahren frisst sich der ehemalige Englischlehrer Charlie (Brendan Fraser) systematisch zu Tode. Seine extreme Fettleibigkeit hat ihn bewegungstechnisch fast vollständig eingeschränkt und eine Herzinsuffizient verursacht, die ihn immer näher ans Grab bringt. Seine gute Freundin Liz (Hong Chau) pflegt ihn als eine Art persönliche Krankenschwester, kann jedoch auch nicht wirklich zu ihm durchdringen, da er einen Aufenthalt im Krankenhaus mit der Begründung, dass er dafür kein Geld habe, ablehnt. Den baldigen Tod vor Augen entsteht ein erneuter Kontakt zu seiner Tochter Ellie (Sadie Sink), die er verlassen hat, als sie gerade einmal acht Jahre alt war. Diese ist jedoch nicht daran interessiert, die Beziehung zu ihrem Vater wieder in die Wege zu leiten und kümmert sich nicht darum, dass es ihm vielleicht Frieden bringen könnte...

Es war eine der schönsten Geschichten, die Hollywood in den letzten Jahren erschaffen hat: Der ehemalige Blockbuster-Star Brendan Fraser war von dem Haifischbecken der Traumfabrik förmlich verschluckt worden und hatte sich jahrelang zurückgezogen. Dann war er plötzlich wieder zurück und durfte schließlich für seine Performance als schwer übergewichtiger Lehrer in Darren Aronofskys "The Whale" den Oscar als bester Hauptdarsteller entgegennehmen. So ziemlich jeder Filmfan, der Autor dieser Zeilen eingeschlossen, war über alle Maße gerührt, dass der frühere Star aus großen Filmen wie "Die Mumie" so prestigeträchtig zurückkehrte und seine schwere Zeit mit der langersehnten Goldstatue prägen durfte. Doch was steckt denn nun künstlerisch hinter dem Film, über den im Grunde wenig gesprochen wurde, da die Rede stets nur von seinem fabelhaften Hauptdarsteller war? Kurz: Eine Menge, aber eigentlich auch weniger als erwartet. Denn tatsächlich ist Fraser in der Hauptrolle absolut brillant, der um ihn bestehende Film gehört jedoch zu den schwächeren in der Filmografie des "Black Swan"-Regisseurs Aronofsky.
Dabei macht er eigentlich vieles richtig. Die Entscheidung, den Film im fast vergessenen 4:3-Format zu drehen, verleiht dem Werk eine eigene Größe. Den Film zudem fast vollständig in Charlies Wohnung spielen zu lassen, lässt uns quasi persönlich teilhaben an seinem schweren Werdegang - einige Bilder sind dabei schier unerträglich. Das erkauft sich Arronofsky aber auch dadurch, da er eben diese Bilder mit einer enormen Wucht ausstattet, auf die er auch hätte verzichten können. Beinahe schon voyeuristisch verfolgt er Charlies schmerzhafte und leidende Gänge ins Badezimmer, filmt minutenlang ab, wie er sich auf der Couch windet und wie er hustet und frisst und klagt. Die Arbeit der oscarprämierten Make-Up-Artists, die Brendan Fraser dabei in den 270 Kilogramm schweren Charlie verwandelten, lässt sich dabei kaum hoch genug bewerten. Aronofsky erreicht dadurch dann auch genau das, was er wollte - wir empfinden Mitleid für diese arme Seele. Das erzählt er jedoch auch mit dem Holzhammer, weswegen "The Whale" in diesen Untiefen zwar intensiv, aber auch nicht unbedingt ehrlich daherkommt. Aronofsky drückt alle emotionalen Knöpfe und Hebel, die für ein solch düsteres Drama notwendig sind, doch spätestens in der zweiten Hälfte, wenn der Kitsch in den langen Dialogen bisweilen überwiegt, spüren wir als Zuschauer diese gefühlsduselige Manipulation.
Das kostet die Kernkonflikte nicht ihren Dampf, denn diese sind menschlich und bewegend. Einzig die Geschichte des superreligiösen Missionars Thomas wirkt ein wenig wie eine seltsame Fußnote und plustert den Film zu arg auf beinahe zwei Stunden Laufzeit auf. Doch das zentrale Drama zwischen Vater und Tochter weiß zu überzeugen, auch wenn nicht jeder Dialog so dermaßen auf den Punkt gebracht werden müsste - die Schauspieler, allen voran natürlich Fraser, sind gut genug, alsdass sie nicht dauerhaft alles laut aussprechen müssten, was dem Publikum schon länger klar ist. Das ist jedoch nur ein marginaler Kritikpunkt, denn darüber hinaus versteht Aronofsky es, seine wenigen Charaktere klug zu führen und jedem von ihnen eine eigene Last mit auf den Weg zu geben. Neben Brendan Frasers absolut grandioser, vor allem physisch beachtlicher Leistung wird eine jedoch immer wieder vergessen: Hong Chau, ebenfalls zumindest oscarnominiert als beste Nebendarstellerin, hat als Charlies Quasi-Krankenschwester Liz einige so gute, gepfefferte Dialogzeilen, dass sie Fraser in ihren Momenten fast die Schau zu stehlen droht. Da kann Sadie Sink als Charlies Tochter nicht ganz mithalten und wirkt hin und wieder doch ein wenig überfordert als nicht nur verlorene, sondern nahezu bösartige Teenagerin. Ein fesselnder, unsympathischer und deswegen fordernder Charakter, dem Sink hier nicht gänzlich die Palette an emotionaler Breite verpassen kann, die notwendig gewesen wäre.

Fazit: Brendan Fraser ist physisch und darstellerisch eine Wucht - eine ungezügelte, hemmungslose und wahnsinnig bewegende Performance, die (ebenso wie die von Hong Chau) zu den Besten der letzten Jahre gehört. Der etwas zu sehr mit dem Holzhammer inszenierte und auf die großen Emotionen zu offensichtlich abzielende Film, der um ihn herum aufgebaut wurde, überzeugt dabei trotz menschlicher und intensiver Konflikte nur teilweise.

Note: 3+



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