Direkt zum Hauptbereich

Oben

Gelingt der Anfang eines Filmes absolut prächtig, ist das eigentlich schon der halbe Sieg... oder? Zumindest kann man davon ausgehen, dass der Zuschauer guter Laune und auch entgegen eventueller, späterer Missgeschickte milde gestimmt ist, wenn er zuvor doch bereits so gut unterhalten wurde. "Oben" von Pixar ist so ein Werk: Ein sehr schöner Animationsfilm, der aber niemals wieder so gut wird wie während seinen ersten zehn Minuten und daher die schließlich turmhohen Erwartungen seiner Zuschauer leider etwas untergräbt...

OBEN


Carld Frederickson ist ein griesgrämiger, alter Herr, der sich weigert, sein Haus, indem er über Jahrzehnte mit seiner kürzlich verstorbenen Frau Ellie wohnte, der Stadt zu überlassen und in ein Wohnheim zu ziehen. Schließlich nimmt er sich vor, das letzte Versprechen gegenüber Ellie am Sterbebett noch einzulösen und ein eigenes, großes Abenteuer zu erleben. Dafür stattet er sein Haus mit etlichen Luftballons aus und steuert mit diesem nun fliegenden Sitz Südamerika an - stets das Traumziel des verliebten Abenteurerpaares. An Carls Seite nimmt auch unfreiwillig der junge Pfadfinder Russell an der Reise teil. Gemeinsam entdecken die beiden einige unglaubliche Tierarten und kämpfen sogar noch gegen einen intriganten Bösewicht...

Es gibt eine Menge Filme, die mich bereits nach den ersten fünf Minuten unwiderruflich in ihren Bann gezogen haben. Sofort fallen mir dabei Favoriten wie "Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt" (der Film beginnt mit einer brutalen Massenhinrichtung, die den ganzen Ton der Reihe in nur zwei Minuten ändert) oder "The Dark Knight" ein (der Joker wird dabei so kongenial vorgestellt, dass ich alleine bei dem Gedanken an diese Szene noch Gänsehaut bekomme)... dennoch gibt es da einen klaren Unterschied zu Pixars Film "Oben". Die beiden erstgenannten sind für mich nämlich auch abseits der genialen Eingangssequenz absolute Meisterwerke, "Oben" jedoch nicht, denn der lässt nach starkem Beginn doch merklich federn.
In den ersten zehn Minuten werden wir durch ein Wechselbad der Gefühle geworfen, dürfen gleich mehrfach schallend lachen, um nur kurze Zeit später herzlich zu weinen. Kaum ein Film hat es wohl bislang so leicht, so eindeutig geschafft aufzuzeigen, wie schnell ein Leben vorbei sein kann und ein Leben überhaupt in so knapp bemessener Zeit abzulichten, ohne dabei den Sinn für das Wesentliche zu verlieren. Auch danach gelingt es "Oben" mit der Einführung seiner wunderbar schrulligen Hauptfigur und dem Beginn der originellen, abenteuerlichen Reise mit viel Humor, Einfallsreichtum und einigen hervorragenden Bildern und kleinen Actionszenen zu begeistern. Die Animationstechnik ist dabei auch heute noch mehr als beeindruckend, der Soundtrack von "Lost"-Komponist Michael Giacchino ein Meisterwerk für sich (der ihm auch endlich den hochverdienten Oscar einbrachte) und einige Einzelszenen sind so geniale Eyecatcher, verbunden mit sympathischem Humor und viel Tiefe, dass man sie noch lange in Erinnerung behalten wird.
Später verliert "Oben" jedoch überraschenderweise an Fahrt und dies genau zu dem Zeitpunkt, als die Reise von Carl und Russell erst so richtig beginnt. Dies dürfte an der Handlung liegen, die sich Regisseur Pete Docter und sein Team hier aus den Fingern saugten und die letztendlich nicht überzeugen kann. Hier verlässt man sich alsweilen doch zu sehr auf hyperaktive Sidekicks, einen flachen Bösewicht und eine lasche Handlung, bei welcher schließlich auch Rettung und Selbstopferung auf dem Spiel stehen. Das ist dann weiterhin unterhaltsam und nimmt sich zwischendrin, in durchaus rührenden, leisen Szenen, auch noch genug Zeit, um das Innenleben seiner Hauptfiguren zu thematisieren... aber die Geschichte an sich gerät dann auch ordentlich flach und gar trashig. Eine Armee aus sprechenden Hunden? Ein verloren gegangener Abenteurer? Ein Kampf auf einem Zeppelin, mit Kampfflugzeugen als Nebenpart? Nein, das wirkt tatsächlich etwas skurill und diese sehr bunten Szenarien, in welchen sich Senioren, getrieben von vermeidbaren Klischees, ganz nach dem Motto von Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger die Köpfe einhauen, beißen sich schmerzhaft mit der Sensibiliät des eigentlichen Themas. Solch einen Krawall hätte "Oben" angesichts so wundervoll ausgearbeiteter Charaktere gar nicht nötig gehabt, weswegen der Film in der zweiten Hälfte doch arg versackt. Er bleibt zwar weiterhin unterhaltsam und hat zwischendurch wieder gute Gags und schöne Ideen zu bieten, doch der meisterhafte Emotionsrausch seiner ersten halben Stunde bleibt wesentlich stärker in Erinnerung.
Fazit: "Oben" beginnt unglaublich gut, bringt uns sowohl zum Lachen als auch zum Weinen und erschafft wunderbare Charaktere. Später verschlägt es die Geschichte jedoch in trashige und chaotische Klischees, was dem Film nicht wirklich gut zu Gesicht steht.

Note: 3+





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se