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Soul

Joe Gardner lebt ganz allein für den Jazz, der Durchbruch als Musiker ist ihm jedoch nie gelungen, weswegen er sich als Musiklehrer an einer Schule hergeben muss. Doch plötzlich scheint sich ihm mit einem Gig als Pianist bei der berühmten Dorothea Williams endlich Tür und Tor zu öffnen. Nur wenige Stunden vor dem Auftritt stirbt Joe jedoch bei einem Unfall und seine Seele landet im Jenseits. Da er sein plötzliches Ableben so kurz vor seinem musikalischen Durchbruch nicht wahrhaben will, flieht Joe kurz vor dem Eintritt und landet in einer Art Zwischenwelt, wo die jungen Seelen auf ihr Leben auf der Erde vorbereitet werden. Joe wird für einen neuen Mentor gehalten, welcher die noch unvollständigen Seelen ausfüllen soll. Dabei riecht er die Chance, von dort einen Weg zurück in seinen Körper auf der Erde zu finden... und tut sich mit der aufmüpfigen Seele 22 zusammen, die seit jeher keine Lust hat, ein richtiges Leben zu führen.

Wo Pixar vor rund einer Dekade noch recht zuverlässig im Jahrestakt ein neues Meisterwerk in die Kinos brachte, so ist das Warten auf das eine herausragende Werk mittlerweile immer etwas länger geworden. Wenn Pete Docter bei einem solchen Film die Regie übernimmt, darf man aber wieder mit einem echten Highlight rechnen, welches die durchweg soliden, aber niemals wirklich begeisternden Fortsetzungen rund um "Toy Story 4" oder "Findet Dorie" wieder ausgleicht. Docter begeisterte bereits mit "Oben" und besonders dem meisterhaften "Alles steht Kopf"... und er tut es auch hier wieder, wobei der im Dezember 2020 auf dem Streamingdienst Disney Plus gestartete "Soul" die logische Weiterentwicklung der letztgenannten Abenteuer der Emotionen im Körper der kleinen Riley darstellt. Das gilt sowohl für die rein inhaltliche Ebene als auch für die inszenatorische, denn wo der Film inhaltlich nun von den Emotionen auf unsere Seelen und das, was uns tief in unserem Dasein ausmacht, überspringt, ist er auf der Inszenierungsebene noch erwachsener und intelligenter geworden. Das macht "Soul" endgültig zu einem Werk, welches für Kinder aufgrund seiner beinahe philosophisch angehauchten, anspruchsvollen Ebene nicht mehr zu greifen ist, für Erwachsene allerdings eine traumhafte Reise darstellt, die uns das Leben gar noch mal aus anderen Augen sehen lassen.
Technisch ist der Film selbstverständlich auf allerhöchstem Niveau und begeistert mit butterweichen Animationen, die trotzdem noch comichaft genug sind, um den teils absurden Cartoon-Humor in all seiner herrlichen Pracht zur Geltung zu bringen. Die Liebe zum Detail steckt in jedem Pixel und der hervorragende Soundtrack gibt dem Film dabei nicht nur musikalisch, sondern gar inhaltlich seine Richtung. Was die musikalische Untermalung angeht, die sogar den Plot des Films bestimmt, muss sich dieses Werk nicht mal hinter "La La Land" verstecken. Die Detailfülle ist dabei auch bei "Soul" enorm - an jeder Ecke gibt es neue Witze, Anspielungen und sympathische Ideen zu entdecken. All diese wunderbaren, kreativen Einfälle aufzuzählen, das wäre vergebene Müh - es gibt so viele, dass sie nicht alle wiederzugeben sind. Erstaunlich ist dabei zum wiederholten Male, wie locker und ungehemmt sie ineinandergreifen. Wo andere Animationsfilme bereits eine Idee benutzt hätten, um sie auszureizen, rennt "Soul" einfach immer weiter und wartet mit immer neuen Wendungen auf, die dem Film eine neue, erfrischende Note geben. Dabei wirkt der Film niemals bemüht, sondern verstrickt seine Welten, Ideen und Charaktere zu einem stimmigen Ganzen, welches uns immer wieder lauthals lachen lässt, um uns schließlich gar zu Tränen zu rühren.
Ausladende Actionszenen gibt es diesmal so gut wie keine, trotzdem bleibt das Tempo des Films ungemein hoch, da Pixar all diese Schauplätze wunderbar ausspielt. Das Herz und das Lebensgefühl sprießen aus jedem kleinen Detail, Pete Docter nimmt sich Zeit für kleine, feine Dinge... und genau das gibt uns "Soul" schließlich auch auf den Weg. Natürlich sollen wir unser Leben nach bestem Gewissen nutzen, bevor es vielleicht ganz plötzlich vorbei ist. Trotzdem sollen wir auch genießen, uns die kindliche Freude am Staunen und Erleben behalten, das Glück in den kleinen Dingen finden. Wie erwachsen und ungeschönt der Film diese Messages an den Mann bringt, ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit unglaublich viel Charme und Herz, ist wunderschön anzusehen. Die Charaktere leben dabei wieder von ihrem verrückten Spleens, auch wenn die schrillen Nebenfiguren diesmal nicht ganz so gut ausgearbeitet sind. Das ist aber halb so schlimm, da der Fokus eh auf dem Pärchen liegt, welches sich hier zu einem gemeinsamen Abenteuer findet. Durch ihre Augen sehen wir die Welt, werden selbst wieder zum Kind und finden ganz neue Ausdrucksweisen für so erschreckende Themen wie dem Tod, das Jenseits, Depressionen, Zukunftsangst und der Funke, der vielleicht uns alles bedeutet, aber gar nicht unser Lebensinhalt sein muss. Wie gesagt, sehr große Töne, die "Soul" hier anfasst - und somit der erwachsenste Pixar-Film von allen, wenn auch nicht ganz auf dem Niveau von "Alles steht Kopf". Aber auch nicht weit davon entfernt, was hier dringend festgehalten werden muss.

Fazit: "Soul" ist ein erwachsenes, herzliches, kreatives und ungemein bewegendes Meisterwerk der Pixar Studios. Animationstechnisch auf allerhöchstem Niveau, brüllend komisch, lehrreich, empathisch, intelligent und tieftraurig. Ein Film mit so viel Wissen, Herz, Mut und (natürlich) Seele.

Note: 1-



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