2011 gewann Christian Bale hochverdient seinen ersten und bislang auch einzigen Oscar, als bester Nebendarsteller für sein grandioses Spiel in einem der besten Boxer-Dramen aller Zeiten, "The Fighter". Damals war er der ziemlich verkorkste kleine Bruder eines hochmotivierten Sportlers... drei Jahre später hat sich Bales ohnehin stets ziemlich interessante Rollenauswahl genau um hundertachtzig Grad gedreht. Auch in Scott Coopers "Auge um Auge" spielt er wieder einen Teil eines Brüderpaares, dieses Mal jedoch nicht den, um den man sich sorgen muss. Zumindest nicht zu Großteilen, denn einen tieferen, seelischen Abgrund hat hier beinahe jede der vielen handelnden Figuren...
AUGE UM AUGE
Seit sein kleiner Bruder Rodney (Casey Affleck) aus dem Krieg heimgekehrt ist, bemüht sich Russell Baze (Christian Bale) darum, ihn über Wasser zu halten. Selbst mit einem Gefängnisaufenthalt belastet kann ihn nichts davon abhalten, irgendwie dafür zu sorgen, dass es Rodney gut geht... obwohl es ihm selbst an viel fehlt. Doch mit der Zeit bringt Rodney sich wieder in Gefahr, als er über illegale Boxkämpfe an Geld kommen will und sich dabei mit den falschen Managern anlegt. Dabei gerät er an den vollkommen wahnsinnigen, eiskalten Verbrecher Harlan DeGroat (Woody Harrelson), der seine eigene Methoden hat, mit seinen Mitstreitern umzugehen...
So richtig weiß man nicht, wohin "Black Mass"-Regisseur Scott Cooper mit diesem Film nun hin will. In seiner ersten Hälfte entwirft er ein sehr stimmiges, zumeist ruhig und dadurch in Einzelszenen auch intensiv erzähltes Bild einer Arbeiterfamilie, die immer darum kämpft, endlich ein wenig im Leben voranzukommen, der genau das aber nicht gelingt. Unzufriedenheit, die Bemühung, dennoch optimistisch zu bleiben, Familienzusammenhalt, Verlust... all diese Themen sind drin und auch wenn man sie in anderen Filmen schon gewichtiger inszeniert gesehen hat, so funktioniert der Schritt hin zum stillen Familiendrama mit gelegentlichen Gewaltspitzen gut. Wir fühlen mit den Figuren, da sich Cooper genügend Zeit nimmt, um sie zu charakterisieren und wir fühlen auch die Schläge, die sie abbekommen - insbesondere auf psychische Weise, wogegen Cooper die physischen Gewaltakte nie richtig brutal inszenieren kann, weswegen auf dieser Ebene die letzte Intensität fehlt, einige der harten Boxkämpfe etwas leidlos verpuffen.
Schauspielerisch ist das dennoch glanzvoll, auch wenn man etwas enttäuscht mitansehen muss, dass große Namen wie Zoe Saldana und insbesondere "Nicht auflegen"-Star Forest Whitaker hier doch deutlich weniger zu tun haben als man es gewohnt ist. Dafür hat Willem Dafoe mal wieder eine ziemlich hübsche, gar nicht mal so einseitige Rolle abbekommen, Casey Affleck ist ohnehin gewohnt grandios und Sam Shephard hat einige wunderbare, tiefschürfende Einzelszenen - dass durch seinen Tod im Jahr 2017 ein herber Verlust entstanden ist, wird immer deutlicher, je mehr mit ihm besetzte Filme ich sehe. Christian Bale und Woody Harrelson hingegen liefern sich ein Hauptrollen-Duell, aus dem irgendwie beide als Gewinner hervorgehen: Harrelson liegt die Rolle des wahnsinnigen Psychopathen, was er bereits in der verrückten Crime-Comedy "7 Psychos" zu Genüge bewiesen hat und auch Bale schmeißt sich wie immer sehr kraftvoll, beinahe erschütternd real in seine Arbeit... sein Gesicht ist oftmals gar ein echter Ausfluss an großen Emotionen, so viel spielt sich in jedem einzelnen Moment darin ab.
Leider kann das Skript später nicht mehr mit den starken Leistungen der Schauspieler mithalten. Über einige etwas überladene Subplots kann ich noch hinwegsehen, da der Film sich somit auch bei Nebenfiguren in mal kurzen, mal auch längeren Handlungen eine recht bemerkenswerte, oftmals auch überraschend konsequente Tiefe auflädt, die mir gefallen hat. Sobald sich das Werk jedoch in einen Rache-Thriller verwandelt, fällt die Intensität ins Bodenlose, die Geschichte offenbart sich als vorhersehbarer und ziemlich halbgarer Plot, der keinerlei Überraschungen mehr bietet. Dass neue Ideen fehlen ist okay, aber trotzdem hätte man diese hitziger inszenieren können, ohne am Ende all die Subplots fallen zu lassen. Zum Schluss wirkt der Film haltloser, irgendwie zu flott zu Ende gedachter, als er hätte sein können, ist einen langen Weg gegangen, der nicht unbedingt ins Nichts führt, aber dennoch unbefriedigend ist und allzu klischeehaft endet. Das ist schade, hat Cooper doch zuvor bewiesen, dass er sich in dem Genre wohlfühlt... um sich dann doch von nervigen Klischees überrollen zu lassen, die dem Werk seine angenehme Tiefe beinahe vollends rauben.
Fazit: Halbgarer Thriller, der zu Beginn ein stimmiges Familiendrama entwirft, später aber in einen vorhersehbaren, erstaunlich simplen Rache-Thriller abdriftet. Die namhafte Besetzung tut ihr absolut Bestes, doch auch sie können nicht gegen etliche Plotholes der eher lauen Geschichte ankämpfen.
Note: 3-
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