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127 Hours

Ich bin kein großer Fan von Danny Boyle. Bis auf den grandiosen "Slumdog Millionär" und den überzeugenden "The Beach" hat mich der Regisseur mit seinen künstlerisch angehauchten, aber stets auch recht dicken und gezwungen anders wirkenden Werken oft enttäuscht: Das gilt für den Megaflop "Sunshine", den vollkommen überbewerteten "28 Days Later", den konfusen "Trainspotting" und den mauen "Trance". Was für viele moderne Klassiker sind, stößt bei mir auf taube Ohren. Dennoch waren meine Erwartungen an "127 Hours" hoch, da sich Boyle hier auf einem Terrain bewegt, in welchem er sich auskennen sollte... noch dazu ist die wahre Geschichte eine so fasznierende, dass ich mir das Werk angesehen hätte, egal, von welchem Regisseur es kommt.

127 HOURS


Als Aron Ralston (James Franco) am Wochenende zu einem Trip zum Canyon in Robbers Boost aufbricht, ahnt er nicht, wie viele Fehler er zuvor gemacht hat. Hätte er einem seiner Freunde erzählt, wohin der Ausflug ginge, hätte er seine Mutter, die ständig bei ihm durchklingelt, nur einmal zurückgerufen, hätte er sich nicht so rasch von den beiden Abenteuer-Touristinnen Kristi (Kate Mara) und Megan (Amber Tamblyn) wieder getrennt, wäre er nun nicht einsam. Denn bei einem Klettern durch einen engen Spalt rutscht einer der Felsen, an denen er sich hält ab und klemmt seinen rechten Unterarm zwischen den Steinen ein. Fast komplett bewegungsunfähig kämpft er nun gegen den stetigen Wassermangel, die Hitze und den langsam absterbenden Arm an...

Man durfte natürlich schon ein wenig zweifeln. Denn auch wenn die unglaubliche, aber wahre Geschichte von Aron Ralston, der während eines Ausfluges allein zwischen einem Felsen und einer Steilwand eingeklemmt wird, faszinierend und erschütternd zugleich ist, klang es nicht leicht, darüber einen Film zu drehen. Tatsächlich erreicht Boyle dies auch nur, indem er immer wieder ein bisschen trickst. Nach gut fünfzehn bis zwanzig Minuten hat der Film seinen Standpunkt erreicht und Aron ist ab jetzt weitestgehend bewegungsunfähig, keine Ortswechsel mehr, die Handlung spielt sich ausschließlich in der engen Felsspalte ab. 127 Stunden werden hier zu einer komprimiert, dennoch gibt es dabei natürlich nur so und so viele Möglichkeiten, dies zu zeigen... hier zieht sich Boyle aber sehr gut aus der Affäre. Er hält seinen Filmen mit kleinen und großen Schwierigkeiten aufrecht, der stetige Wassermangel, der Verlust eines Messers und natürlich Ralstons langsamer Verfall zum Wahnsinn. Hier rettet sich Boyle dann auch immer wieder mit kleinen Halluzinationen und Rückblenden, um (um es hart zu sagen) nicht stetig die gleichen Bilder zu zeigen. Diese sind zwar sehr sinnig eingesetzt, sorgen für Tempo und sind dabei auch handwerklich sehr gut gemacht, man darf aber bezweifeln, ob diese wirklich notwendig gewesen wären. Denn durch James Francos fantastisches Spiel und die Aufnahmen auf seiner Kamera bekommen wir bereits genügend emotionalen Ballast zugespielt, verstehen die prikäre Lage und auch die Reue, die der Charakter dabei empfindet... hier wäre weniger manchmal mehr gewesen. Aber, abgesehen davon, dass der Film tatsächlich ein paar Minuten zu lang geraten ist und besonders im letzten Drittel das Unvermeidliche unnötig hinauszögert, gibts hier kaum was zu meckern. Die Bildsprache ist beeindruckend, der Soundtrack einer der besten, den man in diesem Genre bislang gehört hat, die Auswahl der Songs ist schlichtweg meisterhaft. James Franco gelingt es, den Film fast vollständig allein zu tragen, er geht bis ans Äußerste und agiert dabei größtenteils nur durch seine Mimik und seine Stimme, eine fantastische Leistung. Besonders die Szenen, in welchen Franco mit anderen, ausgedachten Menschen spricht und sich in einer Talkshow wähnt, wo er sich mit einem anderen, in der Zivilisation angekommenen Ralston unterhält, gehören zu den besten des Films. Bis zum unvermeidlichen Finale, welches für alle, welche die Geschichte bereits kennen, natürlich nicht überraschend kommt, wird das Tempo trotz der Bewegungslosigkeit gekonnt hochgehalten... und wenn es dann zum Äußersten kommt, bewahrt Boyle auch hier noch die Würde, geht zwar brutal und offensichtlich zur Sache, aber nicht effekthascherisch, eine sehr gute Mischung. Und das lässt sich dann auch über "127 Hours" als ganzes sagen: Ein sehr überzeugender Mix aus Bildkompositionen, leisem Spiel und klaustrophobischer Intensität mit einem genialen James Franco, der dafür den Oscar hätte bekommen müssen. Aber zugegeben, in diesem Jahr war die Konkurrenz auch stark...

Note: 2-




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