Als "The Sixth Sense" zum Jahresende 1999 in die Kinos kam, war der Hype gigantisch und Regisseur M. Night Shyamalan wurde als das neue Wunderkind des Mystery-Kinos angesehen. Diesen Ruf hat er seitdem schon längst wieder eingebüßt, da im Grunde fast alle Produktionen mit seinem herausragenden Erstling nicht mithalten konnten. Zuletzt enttäuschte der im Januar in den Kinos angelaufene "Split" und auch zuvor zerrissen viele Kritiker Shyamalans Filme recht einheitlich. Es scheint also so, als wäre dem Mann hiermit tatsächlich ein einmaliger Erfolg gelungen, der auch heute noch enorm zu packen weiß.
THE SIXTH SENSE
Dr. Malcolm Crowe (Bruce Willis) ist Kinderpsychologe und stößt bei seinem neuesten Fall auf eine große Herausforderung: Der neunjährige Cole Sear (Haley Joel Osment) scheint an Halluzinationen zu leiden, die ihn in seinem Leben enorm beeinträchtigen, die ihn ängstigen und schier wahnsinnig machen. Coles Mutter Lynn (Toni Collette) ist mit der Situation sichtlich überfordert und so nimmt sich Crowe dem Kind an, wobei er jedoch ebenfalls bald an seine Grenzen zu stoßen droht. Als Cole dem Psychiater nämlich das wahre Geheimnis hinter seinem Verhalten offenbart, ist er mit seinem Latein beinahe am Ende...
Wer "The Sixth Sense" kennt wird den Film wahrscheinlich erst einmal vordergründig mit seinem ganz zum Schluss auftauchenden Plottwist verbinden, ein Twist, den womöglich sogar viele kennen, die den Film nie gesehen haben, da er per Mundpropaganda enorm die Runde machte und mittlerweile zu den großen Szenen-Klassikern der modernen Filmgeschichte gehört. M. Night Shyamalan gelingt es durch eine Szene seine komplette Handlung umzuwerfen, neu zu definieren und den Zuschauer so brillant vor den Kopf zu stoßen wie es nur ganz wenigen Regisseuren und Autoren zuvor gelungen ist. Diese Wendung ist dabei ebenso überraschend wie logisch und lässt einen die Hinweise, die zuvor stets ganz offen dalagen, ganz neu betrachten, was alleine für sich schon große Filmkunst ist. Auf solcherlei Twists wurde Shyamalan zukünftig gemünzt und niemals konnte er diese in Folgewerken wie "Signs" oder dem miesen "The Village" auch nur ansatzweise wiederholen.
Natürlich ist "The Sixth Sense" aber weit mehr als sein schlussendlicher Plottwist, denn auch zuvor ist es ein schlichtweg meisterhafter Film, der zu den besten seines Genres gehört und auch heute noch zu fesseln weiß. Shyamalan entwirft ein intensives Psychogramm eines neunjährigen Jungen mit einem schrecklichen Geheimnis (welches wohl auch jeder kennen dürfte, welches ich aber dennoch nicht verraten möchte, da es erst nach rund der Hälfte des Filmes aufgelöst wird) und sorgt dabei für eine grandiose Atmosphäre. Durch eine sehr ruhige Erzählweise mit einer langsamen, schleichenden Kameraführung, einem stilvollen Soundtrack und der perfekten Symbiose aus Bild und Ton erschafft Shyamalan eine unvergessliche Grusel-Stimmung, die ohne simple Schockeffekte auskommt, sondern eher durch die perfekt inszenierten Bilder schaudern lässt. Daneben weiß er durch seine lebendigen Charaktere ebenso zu bewegen, manchmal sogar zu belustigen und schafft es trotz der sehr ruhigen Erzählung durchgehend zu fesseln.
Sicherlich ist dies auch dem Zusammenspiel von Bruce Willis und Haley Joel Osment zu verdanken, die hier beide ganz groß aufspielen: Willis entfernte sich mit dieser Rolle ein Stückweit von dem Actionhelden-Duktus, der ihm durch große Erfolge wie "Stirb langsam" und "Armageddon" noch immer auflag und war selten so gut wie hier, durch nuanciertes und treffsicheres Spiel begeistert er noch heute die Zuschauer. Dass ihm die Schau von einem zehnjährigen Jungen gestohlen werden würde war dennoch eine faustdicke Überraschung: Haley Joel Osment erhielt für die grandiose Darstellung des Cole Sear eine vollkommen verdiente Oscar-Nominierung und zeigt ein reifes und felsenfestes Schauspiel, welches man auch von "alten Hasen" des Business niemals erwarten würde. Man möchte nicht übertreiben, aber vielleicht ist es tatsächlich die beste Kinderdarsteller-Performance in einem amerikanischen Film der jüngsten Zeit. Daniel Radcliffe, Dakota Fanning und Co. steckt Osment jedenfalls locker in die Tasche und sorgt mit seiner intensiven und sensiblen Darstellung für Gänsehaut.
Neben den beiden Hauptdarstellern sowie "Jurassic Park"-Star Trevor Morgan muss man jedoch auch Toni Collette erwähnen, die als überforderte Mutter eine einzigartige Vorstellung aufs Parkett legt und der es gelingt, den ansonsten recht einfach gestrickten Charakter niemals zu einem Klischee verkommen zu lassen. Für Regisseur Shyamalan war dieser enorme Erfolg (bis heute steht "The Sixth Sense" unter den hundert erfolgreichsten Filmen aller Zeiten) zugleich Segen und Fluch... für die Zuschauer ist es aber einfach nur ein Traum, der trotz minimaler Längen einen herausragenden Film darstellt.
Fazit: "The Sixth Sense" ist ein inszenatorisches Meisterwerk, brillant gespielt und gefilmt, mit einer sinnigen Handlung, einer grandiosen Wendung zum Schlussakt und einer packenden Atmosphäre ohne unsinnige Schocker, welches das Genre enorm bereicherte.
Note: 2+
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