Im Sommer 1917 zieht Robert Grainier (Joel Edgerton) mit einer Gruppe von Holzfällern durchs Land. Gemeinsam fällen sie unzählige Bäume, um der wachsenden Nachfrage nach Holz in den USA gerecht zu werden. Eine unglaublich schwierige Arbeit, die aber das nötige Geld einbringt, um seine Familie zu versorgen: Seine Ehefrau Gladys (Felicity Jones) und die gemeinsame Tochter hüten derweil das Heim. Doch die Zeit hinterlässt nicht nur ihre Spuren in der Welt, sondern auch auf Robert Grainier. Nichts bleibt so, wie es ist und Grainier fällt es schwer, sich in einer so rasant weiterentwickelnden Welt noch anzupassen. Als er älter wird und nachdem ihm das Leben gleich mehrfach böse mitgespielt hat, fragt er sich, welchen Nutzen er und das, was er tut, überhaupt hat. Bleibt am Ende irgendetwas von ihm zurück, woran sich jemand erinnern wird?
In mehreren Kritiken wurde die Bildsprache dieses neuen Netflix-Films, welcher wie bereits einige andere zuvor für die kommende Award-Season überdeutlich in Stellung gebracht wird, mit den Werken von Terrence Malick verglichen. Und auch wenn diese Verbindung nicht per se von der Hand zu weisen ist, soll das keine Filmfreunde abschrecken, die von Malicks überbordender Sperrigkeit eigentlich sonst lieber nichts wissen wollen. Zwar hält Train Dreams perfekt durchkomponierte, aber niemals geleckte Bilder bereit, an denen man sich trotz (oder gerade wegen) des engen Bildformats kaum sattsehen kann. Auf der reinen Handlungsebene ist der Film aber wesentlich zugänglicher und deswegen auch bewegender als ein The Tree of Life beispielsweise und erzählt eine eigentlich sehr intime, wenn man so will kaum bemerkenswerte Geschichte, die nicht über den Tellerrand hinausschauen muss, weil das die Hauptfigur auch nicht tut... oder weil sie es ab einem bestimmten Punkt praktisch nicht mehr kann.
Was eigentlich ein Widerspruch in sich ist, denn immer wieder verweigert sich dieser stoische, wortkarge Mann dennoch den eigentlichen Gepflogenheiten. Als ein chinesischer Mann aufgrund seiner Herkunft drangsaliert wird, möchte Robert Grainier einschreiten - er scheint seinen Mitmenschen in Sachen soziale Kompetenz und sozialem Denken also deutlich voraus zu sein. Trotzdem wirkt er wie ein sehr einfacher Mann seiner Zeit, der keine größeren Ziele hegt als mit seiner Familie ein ruhiges Leben zu führen... und in diesem möchte er dann eigentlich auch nicht weiter gestört werden. Auf solche eine unaufdringliche Art und Weise folgt der Film dem Leben eines ebenso unaufdringlichen Mannes und lässt uns teilhaben an dem, was heute so eigentlich nicht mehr erzählt werden würde: Dem Werdegang oder auch einfach nur Ausschnitten des Lebens eines hart arbeitenden, kernigen Kerls, dessen Frau zuhause ganz brav das Haus hütet und in der Küche steht. Dass Netflix einen solchen Film, sehr unpassend zur heutigen Zeit, so prominent produziert hat, hat aber vor allem damit zu tun, wie diese niemals kritisierte Ansicht (die damals ja völlig normal war) immer mehr Risse erhält.
Train Dreams erzählt seine Geschichte nämlich über mehrere Jahre - Jahre, in denen dieser hart arbeitende Kerl mit all den Muskeln und der grimmigen, wenn auch niemals unfreundlichen Attitüde irgendwann auch nicht mehr so recht mithalten kann. Die Welt dreht sich weiter, Grainier kommt in die Jahre und muss geradezu hilflos dabei zusehen, wie er als harter Kerl plötzlich nicht mehr alles kann, was er mal konnte. Ein sehr cleverer, in dieser Form auch bewegender, aber bemerkenswert unaufdringlicher Weg, die Endlichkeit eines Lebens und auch des Mannes an sich abzubilden, auch wenn sich der Film niemals zu einer politischen Message hinbewegt. Stattdessen bleibt der Film ganz nah am Gesicht seines Hauptdarstellers, wobei Black Mass-Star Joel Edgerton so brillant und gleichsam nuanciert aufgelegt wie immer ist. Er hält den Film, der eigentlich nur wenig an Geschichte erzählt, dabei aber umso öfter beeindruckende Einzelmomente liefert, auf leise Art zusammen. Ob es dafür nun unbedingt noch ein Voice-Over gebraucht hätte, welches die einsamen Momente der Stille immer wieder mit erzählerischen Luftblasen füllt, mag in dieser Form aber höchst diskutabel sein. Vielleicht traute man dem Film solch ein Übermaß an Stille, ohne erklärende Worte, nicht zu, was irgendwie verständlich ist, dem ansonsten so hypnotisch erzählten Werk aber auch etwas von seiner ruhigen Kraft zu rauben droht.
Fazit: Joel Edgerton ist brillant, die Regie ist brillant, die Atmosphäre ist stimmig. Die Geschichte ist klein und beinahe losgelöst, bezieht dabei aber ihren Reiz und wagt einen Blick auf einen Mann, der sich selbst aus dem Fokus zu verlieren droht. Das ist durchaus bewegend, wenn man zwischen den Zeilen lesen will, hat hier und da aber auch seine Schwächen.
Note: 3+
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