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After the Hunt

In Yale scheint das Verhältnis zwischen Professor*innen und Schüler*innen stets ein freundschaftliches zu sein. So lädt die angesehene, festangestellte Professorin Alma Imhoff (Julia Roberts) Kollegen und Studenten sogar zu einer angenehmen Feierlichkeit in den eigenen vier Wänden ein. Als jedoch eines Abends die Studentin Maggie Resnick (Ayo Edebiri) völlig aufgelöst vor ihrer Haustür sitzt, zu der Alma eigentlich ein besonders entspanntes Verhältnis hat, und erzählt, dass der Dozent und Almas bester Freund Hank Gibson (Andrew Garfield) eine körperliche Grenze überschritten hätte, weiß sie nicht mehr, was sie tun soll. Konkrete Beweise gibt es nicht und Hank leugnet ein solches Fehlverhalten mit aller Kraft. Soll Alma nun ihren besten Freund hintergehen, obwohl es sogar Hinweise gibt, dass Maggie Rache an ihrem Professor üben wollte? Oder soll sie dem Opfer glauben und ihr den Rücken stärken - auch, um ihre berufliche Position zu sichern?

Dass Luca Guadagnino's neuester Film ebenfalls wieder für Furore sorgen würde, war im Grunde klar. Schließlich schlug schon sein 2018 veröffentlichtes Meisterwerk Call me by your Name hohe Wellen - wo die einen eine dramatische Liebesgeschichte sahen, erblickten andere eine romantische Verklärung eines sexuellen Übergriffs. Und wenn sich Guadagnino nun nicht nur dem Me-Too-Thema in einem prekären Fall annimmt, sondern darüber hinaus auch noch einiges über verschiedene Generationen und deren soziale Unterschiede zueinander erzählen möchte, erwartet man sich dabei so einiges... und durchaus auch so manch einen Aufschrei. Prinzipiell blieben diese nun aber aus, was heißt, dass der Regisseur hier keiner Seite so richtiges Recht zusprechen wollte. Und das ist in der Tat ein bisschen ein Problem, denn ein solcher Konflikt verdient es eigentlich nicht, aufgrund nebensächlicher Tatsachen, wie dem sozialen Status des potenziellen Opfers, verwässert zu werden. Nicht, dass Guadagnino das tun würde, denn schon gemäß einem Krimi verschießt er allerlei Nebelkerzen, die das Vertrauen des Publikums in die verschiedenen Figuren immer wieder auf den Kopf stellen sollen. Eine Antwort oder zumindest eine konkrete Position innerhalb dieses Treibens bleibt er uns bis zum Ende jedoch schuldig.
Und das ist insbesondere deswegen fatal, da Guadagnino doch immer wieder wichtige und regelrecht provokante Fragen stellt. So zum Beispiel, ob eine ganze Generation einfach etwas "empfindlicher" ist als alle anderen Menschen. Oder im genauen Gegensatz, ob sich dieses Regelwerk nicht richtigerweise weiterentwickelt hat und gewisse Grenzüberschreitungen, die früher nicht direkt als solche genannt wurden, nun jedoch welche sind und dass es die anderen Generationen sind, die sich nun als solche Regeln zu gewöhnen und diese zu befolgen haben. Ein spannendes Sammelsurium aus hochaktuellen Fragen, die zudem noch mit eher oberflächlicheren, aber dennoch gewichtigen Dingen wie dem Beweis der Schuld oder der Unschuld, sofortigem Vertrauen oder dem gemeinsamen Kampf von Frauen gegen ein größeres Übel garniert werden. Über die erste Halbzeit bringt Guadagnino mit seinem herrlich-geschliffenen Regiestil und einem langen Atem so viele Fragen in Position, dass man kaum abwarten kann, wie er diese anschließend verwandeln wird. Wie er in einem eigenen Monolog eine ganz eigene Stellung zu diesen kritischen und emotional diskutierten Themen einnehmen wird. Nur... diese Verwandlung erfolgt nie.
Bis zum Ende lässt er seine Figuren munter diskutieren und abwägen, sich gegenseitig anfeinden und basht dabei sogar recht unglamourös gegen eine ganze Generation von jungen Menschen, was wirklich uncharmant und auch etwas altbacken erscheint. Letztendlich lässt er sich dann zu keiner echten Position hinreißen, verurteilt weder Täter noch huldigt er den Opfern, sondern bleibt irgendwo in der Mitte stehen. Natürlich kann das Publikum sich selbst einen Reim darauf machen, doch werden alle Figuren dabei so sattsam unsympathisch gezeichnet, dass auch das schwer fällt... was wohl auch Guadagnino selbst unter all seinen Nebelkerzen gemerkt haben wird, weswegen er am Ende einfach keine Position mehr bezog, um vielleicht keinen Shitsorm von dieser oder jener Seite auszulösen. Das ist fast verständlich, aber auch zu unkonkret, wirkt fast zu gemütlich angesichts solch eines wichtigen Themas. Der Knall bleibt aus, obwohl er notwendig gewesen wäre. Wirklich Eindruck hinterlässt dafür der Cast, der seine Sache durch die Bank weg unglaublich macht. The Bear-Star Ayo Edebiri in ihrer ersten Kino-Hauptrolle ist fantastisch, Andrew Garfield als direkter Gegenpol war noch nie so widerlich-schmierig wie hier und beeindruckt ebenso, nur auf ganz andere Art und Weise. Guadagnino's Stammschauspieler Michael Stuhlbarg darf angenehm freidrehen, ohne dabei zu viel Raum zu stehlen. Und Julia Roberts? Wäre dieser Film insgesamt besser besprochen, könnte sie sich nächstes Jahr sicherlich Hoffnungen auf den nächsten Oscar nach ihrer Auszeichnung für Erin Brockovich machen. So wird es aber wahrscheinlich (und unfairerweise) nicht mal zu einer Nominierung reichen, welche die Ausnahmeperformance dieser zeitlosen Schauspielerin angemessen geadelt hätte.

Fazit: Wie von Luca Guadagnino gewöhnt, ist auch After the Hunt ein schauspielerisches und inszenatorisches Meisterwerk, welches provokante und aufwühlende Fragen stellt. Dass diese aber später im Grunde nur noch verhandelt, aber niemals aufgelöst werden, wirkt angesichts dieser wichtigen Themen etwas faul.

Note: 3+



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