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I Am You - Mörderische Sehnsucht

Depression ist eine Krankheit, die auch heute noch viel zu selten als Krankheit angesehen wird. Das wirkliche Leiden darunter können sich wohl nur diejenigen vorstellen, die wirklich damit zu tun haben und vor allem selbst Opfer davon geworden sind und ich darf mich wohl glücklich schätzen, dass ich nie ernsthaft damit in Kontakt gekommen bin. Zu was diese in Kombination mit generellem, psychischem Fehlverhalten, falscher Erziehung und furchtbarer Einsamkeit führen kann, wenn auch nur im allerschlimmsten Fall, zeigt der eindringliche Thriller "I Am You", der zudem auch noch auf einer schrecklichen, wahren Begebenheit beruht.

I AM YOU


Als die fünfzehnjährige Rachel Barber (Kate Bell) im Jahr 1999 urplötzlich verschwindet, klingeln bei den überfürsorglichen Eltern Mike (Guy Pearce) und Elizabeth (Miranda Otto) sofort alle Alarmglocken. Als die Polizei nichts unternehmen will, da sie davon ausgeht, dass Rachel bloß ausgerissen ist, nehmen sie den Fall selbst in die Hand und gehen an die Presse. Die Spuren, die dadurch entstehen, führen zu Caroline Reid Robertson (Ruth Bradley), der ehemaligen Babysitterin der Barbers, welche unter einer schweren Persönlichkeitsstörung und enormem Selbsthass leidet. Sie war die letzte Person, mit welcher Rachel zusammen gesehen wurde...

"I Am You" ist ein sehr interessanter Mix aus tiefschürfenden Drama und spannendem Thriller geworden. In der ersten Hälfte des Films wohnen wir dreimal der Szenerie rund um Rachels Verschwinden bei, aus der Sicht der wichtigsten Personen des Films: Den Eltern, welche bereits eine Stunde, nachdem ihre Tochter nicht heimgekommen ist, versuchen, alles in die Wege zu leiten, um sie zu finden. Die psychisch gestörte Caroline, welche zuvor mit Rachel zusammen war und schon früh als Tatverdächtige gilt. Und Rachel selbst, wobei die Puzzlestücke, wer und was genau dahintersteckt, zur ungefähren Halbzeit zusammengesetzt werden. Eine einfühlsame, wenn auch manchmal etwas zu lange erste Hälfte haben wir hier, die intelligent, aber nicht effekthascherisch mit der unglaublichen, aber dennoch wahren Geschichte umgeht, dabei Gefühle nicht ausspart, ruhig und melancholisch bleibt und dann plötzlich wieder mit unbequemen Wahrheiten und Gewalttaten um die Ecke kommt... die Intensität dieser Szenen wird wohl noch lange nachhallen und ist definitiv nichts für Menschen mit einem dünnen Fell, besonders da sie sehr realistisch gemacht sind und zudem noch recht ausschweifend präsentiert werden, was aber nie dem bloßen Selbstzweck dient. In der zweiten Hälfte mausert sich der Film dann zumindest teilweise zu dem Thriller, den der Trailer suggeriert hat, die Ermittlungen sind spannend und wendungsreich gestaltet und auch wenn der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits weiß, wie der Hase ungefähr läuft, ist man von der mehr als soliden Inszenierung und besonders der großartigen Kameraarbeit nachhaltig beeindruckt. Das gute Skript sorgt für Tempo, nimmt sich aber auch die Zeit für Gefühle, wobei die Darsteller aber zumindest ab und an überfordert wirken. Miranda Otto und Guy Pearce als größte Namen des Casts bekommen leider zu wenig Screentime, während Ruth Bradley als psychisch gestörte Nachbarin sicherlich gut und auch sehr mutig in ihrer freizügigen, verstörenden Darstellung ist, es hin und wieder aber auch ein wenig übertreibt. Der heimliche Star ist dagegen sogar überraschenderweise "Jurassic Park"-Star Sam Neill, welcher Carolines Vater mit einer enormen Präsenz spielt, die definitiv zu einer der besten Performances in seiner langen Karriere reicht. Wer sich von den intensiven Gewalttaten (psychisch und physisch) nicht abschrecken lässt und zudem ein wenig Gehirnschmalz mitbringt, wer gerne die Gefühle über den Thrill stellt, der hat hier einen guten Film gefunden, welcher das Thema nicht weichkocht, sondern sich ihm ernsthaft, aber nicht urteilend, annimmt, dabei einigermaßen unparteiisch bleibt, den Schrecken vermitteln kann und dabei auch bewegt. Das ist ab und an etwas zu viel und nicht immer leicht zu ertragen, ein guter Film ist es aber fraglos.

Note: 2-

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