Eigentlich sollte "Nicht auflegen" bereits ein halbes Jahr früher in die Kinos kommen, als es letzten Endes geschehen ist. Jedoch sorgten die "Beltway Sniper Attacks", welchen 2002 in Amerika mehrere Menschen zum Opfer fielen, für einen nachhaltigen Schock und das Thema sollte erst einmal aus den Lichtspielhäusern entfernt werden. Sicherlich eine richtige Entscheidung, da der Thriller von Joel Schumacher, so spannend er auch ist, doch sehr intensiv und gar pervers die Ziele eines verrückten Killers hinter einem Zielfernrohr darbringt und das ein ums andere Mal für ein unwohles Schaudern sorgt.
NICHT AUFLEGEN!
PR-Berater Stu (Colin Farrell) ist ein Arschloch. Er betrügt seine Ehefrau Kelly (Radha Mitchell) mit der unwissenden, angehenden Schauspielerin Pamela (Katie Holmes), nutzt seine Quellen für eigene Zwecke aus und verhält sich zu seinen Mitmenschen wie der letzte Grobian. Seine Läuterung kommt unerwartet, als er eine Telefonzelle betritt, um Pamela heimlich anzurufen. Am anderen Ende der Leitung sitzt ein Killer (Kiefer Sutherland), der bereits mehrere Morde aus ähnlichen Motiven begangen hat: Er verlangt von Stu die Beichte seiner Sünden und zwingt ihn zu einem Spiel über Wahrheit und Lügen. Sollte Stu auflegen oder die Telefonzelle verlassen, wird der Killer ihn erschießen...
"Nicht auflegen" macht sich den Clou zu eigen, den Alfred Hitchcock zu seinen Lebzeiten bereits in einem Film verwenden wollte, dem dabei jedoch der richtige Storykniff fehlte: Der Film spielt (mit Ausnahme der ersten zehn Minuten) vollständig in und im Bereich rund um die Telefonzelle, in welcher sich Stu befindet. Es ist schon das erste große Lob, welches man Regisseur Joel Schumacher machen muss, dass er es schafft, die Handlung über die komplette Laufzeit spannend zu halten, ohne den Ort zu wechseln. Die Kamera klebt an Stu, wir sehen kaum mehr, als er sieht und trotz des sehr geringen Spielraumes ist den Autoren genug eingefallen, um die Story immer wieder voranzutreiben und auch den Suspense in Höhen steigen zu lassen, von denen sich manch ein Thriller eine gute Scheibe abschneiden könnte. Wie die Autoren es schaffen, Stu für eine gute Stunde lang an den Telefonhörer zu kleben, trotz anrückender Polizisten, aufdringlichen Prostituierten und Schusswechseln, das ist schon wirklich clever. Natürlich wird durch einen sehr hektischen Schnitt, einer etwas nervigen Multi-Bild-Technik und einem druckvollen Soundtrack dafür gesorgt, dass es nach mehr aussieht, als es eigentlich ist, dennoch ist das Experiment geglückt. Viel länger hätte der Film zwar nicht dauern dürfen, da er sich trotz der knappen 80 Minuten einmal zumindest kurz im Kreis bewegt, aber ansonsten ist man wirklich wie gebannt vom dialoglastigen Geschehen, welches aus einem guten Nichts so viel erschafft. Moralisch ist "Nicht auflegen" natürlich eine schwerere Kost und nicht alle Kritiker, die den Film deswegen zerreißen, haben vollkommen Unrecht, denn die "Moral", dass ein Mensch, der Fehler macht, Menschen belügt und verletzt, auf eine solche Art und Weise bestraft gehört, ist sicherlich keine gute. Dennoch machen die Macher ziemlich schnell klar, dass Stu (obwohl er in einer beeindruckenden, dynamischen Intro-Szene klar als unsympathisches Arschloch hingestellt wird) hier sicher nicht der Böse ist, sondern im Gespräch gegen einen psychopathischen, von falschen Moralvorstellungen befallener Killer beinahe zu einer Art Held wird, der über sich hinauswachsen muss... wenn auch unter Zwang. So kann man letztendlich nicht von einem Moral-Fehler des Films, sondern von einem generellen Unwohlsein angesichts eines so fehlgeleiteten Menschen sprechen, da der Streifen aber auch nicht unbedingt ein Unterhaltungs-Blockbuster sein möchte, sind solcherlei mutige, unschöne Schritte erstmal nichts Schlechtes. Nicht schlecht, sind auch die Leistungen der Darsteller, ganz im Gegenteil. Colin Farrell liefert hier eine Leistung ab, welche die Karriere des damaligen Newcomers in genau die richtige Richtung schob. Intensiv, tough, stark und mit mehreren Seiten ausgestattet brilliert Farrell hier größtenteils im Alleingang. Neben Radha Mitchell und Katie Holmes, die recht wenig zu tun haben, sei noch der große Forest Whitaker zu erwähnen, welcher als Polizei-Chef, der versucht, die brisante Lage unter Kontrolle zu bringen, eine Ideal-Besetzung ist. Insgesamt ein sehr mutiger Thriller, der nicht jedem gefallen wird und auch mal wehtut, dabei aber so spannend ist, dass man ihn gerne mehrfach sieht.
Note: 3+
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