Direkt zum Hauptbereich

Hardcore (2015)

Kinobesuche werden einfach nicht langweilig, man erlebt ständig was Neues. Zumindest ist es mir persönlich noch nie passiert, dass ein anderthalbstündiger Film eine zehnminütige Pause innehatte, in welcher sich die Leute beruhigen sollten... so sagte es mir zumindest die Kassiererin, die mir dann sogar noch zu der Kinokarte eine Kotztüte (!) überreichte. So kann man natürlich auch Werbung machen und mir wurde glatt ein wenig mulmig zumute. Gebraucht habe ich die Tüte dennoch nicht, aber irgendwie ist der Hype um diese neue Art Stilmittel doch berechtigt...

HARDCORE


Der eigentlich versorbene Henry erwacht in einer Forschungsanstalt bei der Wissenschaftlerin Estelle (Haley Bennett), die sich ihm als seine Ehefrau vorstellt. Henrys Gedächtnis wurde gelöscht und die Schwere seiner Verletzungen machten es nötig, seinen Körper beinahe vollständig mit Technik auszurüsten: Henry ist eine Art menschlicher Roboter. Das könnte ja eigentlich ganz cool sein, wären da nicht nur einige richtig fiese Schergen unter der Führung des der Telekinese mächtigen Akan (Danila Kozlovsky) hinter ihm her, die keine Waffengewalt scheuen...

Sowas gabs tatsächlich noch nie: In bester Ego-Shooter-Manier (für Nichtkenner: das sind Games wie "Counter Strike" oder "Bioshock", in welchem man die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des Charakters verfolgt) sehen wir jeden einzelnen Moment aus den Augen des handelnden Protagonisten. Sowas hat eben doch noch keiner versucht und ich war neugierig auf das Experiment, auf welches sich Produzent Timur Bekmambetov und Regisseur Ilya Naishuller hier eingelassen haben. Und interessant war es irgendwie, denn all die halsbrecherischen Actionszenen aus einem ganz neuen, manchmal verwirrenden und verdammt rasanten Blickwinkel zu sehen, das hat zumindest zu Beginn etwas. Wie befürchtet nutzt sich dieses Stilmittel aber mit fortschreitender Laufzeit ab und ruft eher Schwindelgefühl und Orientierungsschwierigkeiten denn Spannung hervor. Dass die Macher optisch das Beste herausholen, kann man ihnen nicht absprechen, denn kreativ und vor allem extrem brutal geht es hier zur Sache, bis zu einem vollkommen abgefuckten Finale auf einem Hochhausdach. Langweilig wird es bei diesem kaum stillstehenden Action-Feuerwerk sicher nicht und die Macher liefern uns immer neue Locations und Ideen, um den Gaul am Laufen zu halten. Es gelingt aber dennoch nicht, denn sobald man sich an den Look gewöhnt hat und auch die kreative Brutalität akzeptiert hat, bleibt kaum mehr etwas übrig. Die Story ist totaler Murks und ergibt von vorne bis hinten kaum einen Sinn, führt nur stets von einer Baller-Orgie zur nächsten Actionszene. Man fühlt sich, als würde man einem Freund bei einem mäßig guten Shooter über die Schulter gucken... was auf Dauer eben auch langweilig wird, wenn man mal nicht selbst an den Controller darf. Der Bösewicht ist lächerlich, der romantische Subplot um die ständig entführte Frau ist es ebenfalls, einzig Sharlo Copley holt in den Rollen (!) mit der meisten Screentime noch einiges raus... allerdings ist seine Background-Erklärung dann auch eher dürftig. Und der Hauptdarsteller? Den bekommen wir hier weder zu sehen noch zu hören, der stumme Charakter sagt kein einziges Wort und da wir das Geschehen eben ausschließlich aus seinem Blickwinkel verfolgen, bekommen wir ihn auch nicht zu Gesicht. So etwas muss man sich auch erstmal trauen, immerhin muss man den Machern aber zu Gute halten, dass dieser Mann namens Henry einem durch klitzekleine Gesten schnell sympathisch wird... ohne dass wir ihn sehen oder hören. Das bringt aber leider wenig, da sich das stupide Geballer, der makabere Humor und die vollkommen schwachsinnige Geschichte irgendwann wiederholen und nur mit Müh und Not auf 92 Minuten kommen. Es war ein wirklich nettes Experiment und ein Wagnis, aber ich brauche es nicht nochmal. Fazit: Reichlich obskurer, wilder und lauter Actionfilm mit neuartigem Look und frischen Ideen, dem jedoch schnell die Puste ausgeht und dessen lachhafte Geschichte so gar nicht zieht.

Note: 4


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se