In der Schauspielschule ist man nicht unbedingt im Vorteil, wenn man Szenen, die man zu spielen hat, bereits vom Original kennt. Zu oft kopiert man dabei die unerreichbaren Schauspieler, die diese Szene erst lebendig gemacht haben und vergisst dabei, ihr seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Den Monolog aus dem Film "Wüstenblume" musste ich zwar nie vortragen, jedoch einige andere aus meiner Schule. Und angesichts der emotionalen Wucht, die dieser Monolog und auch der Film ausstrahlt, kann ich da nur meinen Hut ziehen...
WÜSTENBLUME
Nachdem sie zwangsverheiratet werden soll flieht die damals dreizehnjährige Waris Dirie (Liya Kebede) aus Somalia und landet über viele schmerzhafte und komplizierte Umwege schließlich in London. Dort freundet sie sich mit der jungen Marilyn (Sally Hawkins) an, die unbedingt an einer renommierten Ballett-Schule anfangen will, und kommt trotz Geldmangel bei ihr unter. Eines Tages wird Waris von dem berühmten Fotografen Donaldson (Timothy Spall) angesprochen und bekommt die Chance, als Model ihr Geld zu verdienen. Doch Waris möchte die Chance auf Berühmtheit dazu nutzen, um auf ganz andere Dinge aufmerksam zu machen...
"Wüstenblume" hält viel von verschiedenen Genres für uns parat. Nicht alle Seiten davon sind gut ausgearbeitet, im weitesten Sinne weiß der Film aber, was er erzählen möchte und macht dies auch verdammt gut. Waris' Einleben in die Weld von England wird mit sympathischer, aber niemals zu stark in den Vordergrund tretender Komik erzählt. Wir können so nicht über, sondern zum Glück mit der Protagonistin lachen und auch wenn hier ein wenig mehr Mut ab und an angebracht gewesen wäre, so wird man doch schwungvoll mitgerissen.
In erster Linie ist "Wüstenblume" neben einem gelungenen Coming-Age-Film aber ein tiefschürfendes Drama, welches aufrütteln und unangenehme Wahrheiten aussprechen möchte. Dies geschieht zwar ab und an etwas zu holzhammermäßig, dennoch ist dies bei einem solchen Thema durchaus der richtige Weg und bis auf ein paar kleine Fehltritte in Richtung Klischees und Kitsch behandelt man die Thematik hier auch durchgehend glaubhaft. Am intensivsten tritt dies in Erscheinung, wenn Waris ihre Mitmenschen in London bei Dingen beobachtet und begleitet, die für sie in Somalia vollkommen tabu waren: Über wilde Partys, Alkohol, dem Entkleiden zum Duschen oder eben auch Sex. Was anfangs noch ein wenig gewollt lustig wird, hat später immer mehr heftige Tragik zu bieten und diese entlädt sich spätestens dann, wenn Waris das Thema der Beschneidung, oder besser gesagt der Verstümmelung der weiblichen Genitalien, anspricht. Dass der Film auf einer wahren Begebenheit beruht und diese "Praktiken" noch heute zuhauf durchgeführt werden, obwohl sie bereits in etlichen Ländern offiziell verboten wurden, macht diesen Film noch wichtiger und dass das Werk die "Moral" der Geschichte auch ungehemmt und ehrlich wiedergeben kann, ohne dabei zu arg auf eventuelle Tränendrüsen zu drücken, sondern schlichtweg die Intensität des gezeigten ungefiltert wiederzugeben, ist ihm kaum hoch genug anzurechnen.
Ähnliches gilt für die Schauspieler, die hier allesamt Leistungen auf sehr hohem Niveau abliefern, allen voran Waris Dirie, die sich gelenk oder eben auch mal (gewollt) ungelenk zwischen leiser Komik, grauenvoller Dramatik und wunderbarer Stärke bewegt und ihre Rolle dabei grandios füllen kann. Da genügt ein Blick, ein kleines Zucken, um ganz große Enotionen klarzumachen... und dies ist bereits eine Rolle, an welcher viele gestandene Schauspielerinnen aufgrund des komplexen und tragischen Hintergrundes bereits gescheitert wären. Neben Timothy Spall und Juliet Stevenson bleibt besonders Sally Hawkins unter den Nebenrollen hängen, die ihre Marilyn so unwiderstehlich lebensfroh, verplant und neugierig gibt, dass man sie einfach gernhaben muss.
Im letzten Drittel verschwimmen die Grenzen von "Wüstenblume" jedoch ein bisschen und wenn sich der Film dann auch noch eine drohende Abschiebung und eine aus dem Rahmen laufende Ehe auflädt (zwei Themen, die später dann vollkommen fallengelassen werden), dann merkt man, dass hier doch ein wenig zu viel gewollt wurde und dass sich einige spürbare Längen breitmachen. Der intensiven Emotionalität des Streifens tut das zwar kaum einen Abbruch, dennoch sind diese kleinen Schwächen im Storytelling nicht ganz von der Hand zu weisen.
Fazit: Intensives Drama mit unglaublich wichtiger Botschaft, phänomenal gespielt, gelenk zwischen Komik, Tragik und Spannung hüpfend. Gegen Ende gerät die Story ein wenig aus der Bahn, ansonsten hat mich "Wüstenblume" jedoch weitestgehend gepackt.
Note: 2-
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