Die Vergangenheit bekannter, gar klassischer Figuren zu erforschen, um bekanntem Material eine bislang unerzählte Vorgeschichte zu bieten, kann sehr interessant sein. Die meisterhafte Serie "Lost" spielte über mehrere Staffeln mit diesem Gimmick, im Kinobereich nahmen sich bereits Franchises wie die "X-Men" und "Star Wars" dieser Idee an... mit unterschiedlich zufriedenstellenden Ergebnissen. Auch Hannibal bekam bereits ein Kino-Prequel verpasst, welches auf filmischer und erzählerischer Ebene jedoch so schlecht war, dass man es schnellstmöglich wieder vergessen sollte. Die Serie, welche ebenfalls damit spielt, Hannibal Lecter vor den Ereignissen von "Roter Drache" und "Das Schweigen der Lämmer" zu zeigen, möchte dies nun anders machen... und versetzt den mordenden Kannibalen in die Neuzeit.
HANNIBAL - STAFFEL 1
Will Graham (Hugh Dancy) ist Dozent beim FBI und hilft jungen Auszubildenden dabei, sich ein Bild von der Arbeit zu machen. Graham hat jedoch auch die Fähigkeit, sich psychisch in den Kopf von Killern einzuklinken und ihre Gedanken uns Muster nachzuvollziehen - was der Grund ist, wieso sich FBI-Chef Jack Crawford (Laurence Fishburne), dafür einsetzt, Graham in sein Team zu holen und ihn dabei helfen zu lassen, knifflige Fälle zu lösen. Um den labilen Graham dabei nicht zu sehr aus der Bahn zu werfen, stellt Crawford ihm den Psychologen Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) zur Seite... der jedoch sein eigenes, düsteres Geheimnis verbirgt.
"Hannibal" in unsere heutige Zeit zu transferieren, gelingt in der Tat ganz vortrefflich. Auch ohne Anthony Hopkins' einschüchternde Präsenz als wohl bekanntester und unheimlichster Kannibale der Filmgeschichte gelingt es den Machern hier, die Geschichte des Serienkillers um neue Nuancen und Details zu erweitern, ohne dabei jedoch den Geist der Filme zu vernachlässigen. Kennen muss man diese Werke sicherlich nicht, wer "Das Schweigen der Lämmer" und Co. nicht gesehen hat, kann dem Plot hier dennoch problemlos folgen... dem entgehen jedoch auch einige sehr hübsche Anspielungen auf die Filmreihe.
Und auch darüber hinaus hat diese Serie einiges auf der Haben-Seite: Sie ist sehr hübsch inszeniert, bietet weniger pompöse Ausstattungen als viel mehr etliche kleine Details... und eine Menge Blut. Sie ist fantastisch besetzt, wobei auch nicht mit namhaften Stars aus der Kinobranche gegeizt wird (unter anderem geben sich "Matrix"-Star Laurence Fishburne und die aus "Akte X" bekannte Gillian Anderson die Klinke in die Hand) und hat auch durchweg einige sehr erfrischende Ansätze, wobei auch Splatter-Freunde dank der doch teils sehr drastischen Mordsequenzen ihre Freude haben werden - der psychologische Aspekt bleibt jedoch bei aller Brutalität, die gerne auch mal ein wenig zum Selbstzweck eingesetzt wird, absolut im Fokus und beschäftigt sich zumeist mit den komplexen Beziehungen, welche die Charaktere pflegen.
Hier hat man jedoch nicht allzu sauber gearbeitet, begehen die Macher gerade im Umgang mit ihrer eigentlichen Hauptfigur Will Graham einige Schönheitsfehler. Es scheint auch im Serienuniversum mittlerweile gang und gäbe zu sein, dem Hauptcharakter noch einige enorme psychische Probleme mit auf den Weg zu geben und ihn am besten noch zu einem manisch depressiven Charakter zu machen, der kaum mit sich selbst klarkommt und schier einen an der Schüssel hat. Was in ähnlich gearteten Serien wie "Dexter" dank viel Zeit und jeder Menge Ruhepausen in Kombination mit durchaus lebendigen Figuren jedoch noch stark funktionierte, wirkt hier irgendwie durchgehend gewollt, gar überzogen, wenn in jeder Folge noch einmal ein neues Problem rund um Wills Geisteszustand ausdiskutiert werden muss - man hätte seinem "Helden" sicherlich auch geschmeidiger eigene Probleme andichten können, ohne gleich wieder so tief in die Klischee-Schublade greifen zu müssen. Da tut sich dann auch Darsteller Hugh Dancy etwas schwer, denn der macht seine Sache zwar durchaus solide, kann die komplexen Zwickmühlen seiner Figur aber nicht immer glaubhaft übertragen.
Glaubhaft sind auch nicht die Mordfälle, die uns hier vorgesetzt werden und es wirkt schon störend, dass man über weite Strecken erneut nach dem simplen "Fall-der-Woche"-Prinzip verfährt. Zwar werden dahingehend auch noch einige Plots später erneut herausgekramt, um sie mit der Haupthandlung in Verbindung zu bringen, generell bremsen diese Einzelfälle die Geschichte aber durchaus aus und werden stets so rasch aufgelöst (und oftmals auch noch nach dem selben Muster) wie sie gekommen sind - erzählerisch ist das mehrfach durchaus holprig. Und selbst das Aushängeschild kommt nicht ganz ohne Schrammen durch: "Doctor Strange"-Antagonist Mads Mikkelsen liefert sicherlich eine grandiose Leistung ab und besticht durch eine nuancierte Darstellung eines gnadenlosen Serienkillers, der sich hinter dem Deckmantel eines berechnenden Psychologen versteckt. Allerdings variiert er sein Spiel zu selten, was daran liegt, dass sich die Figur über weite Strecken kaum weiterentwickelt... eine gewisse Formelhaftigkeit schleicht sich nach gut der Hälfte der Folgen ein. Immerhin wird das Tempo gegen Ende noch einmal deutlich angezogen, man überrascht uns mit einigen cleveren Wendungen und lässt auch den Hauptplot endlich richtig atmen. Einen Unterhaltungswert kann man "Hannibal" somit keinesfalls absprechen... wirklich vom Hocker hauen tut die Serie den Zuschauer jedoch auch nicht und sticht unter der gewaltigen Konkurrenz heutiger TV-Shows nicht wirklich hervor.
Fazit: "Hannibal" besticht durch eine hübsche Inszenierung und eine lebhafte Schauspielgarde, leidet aber auch darunter, dass der Plot immer wieder von nur marginal spannenden Einzelfällen ausgebremst wird. Das ist unterhaltsam, aber erreicht nur in wenigen Momenten eine wirkliche, psychologische Grundspannung.
Note: 3
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