Ich hatte noch nie einen wirklichen Bezug zu Agatha Christie. Ich spielte einmal das furchtbare Point & Click-Adventure "Und dann gabs keines mehr", welches auf einem ihrer erfolgreichsten Romane beruht - sicherlich eines der schlechtesten Games, welches ich je gespielt habe. Nun fragten sich viele, ob ein Remake ihrer wohl bekanntesten Geschichte im Kino wirklich notwendig ist, selbst wenn es in den fähigen Händen eines Kenneth Branagh liegt, denn die Handlung ist bekannt. Nur eben nicht für mich, sodass sich das neue Gewand für mich doch wohl lohnen dürfte... hoffte ich, von der illustren Star-Besetzung geblendet, zumindest.
MORD IM ORIENT-EXPRESS
Der geniale Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) hat in Bagdag soeben ein Verbrechen aufgeklärt und möchte sich nun auf die Rückreise machen - dank seines zufällig angetroffenen Freundes Bouc (Tom Bateman) ergattert er noch einen der Plätze im Orent-Express, der ihn nach einer mehreren Tage andauernden Fahrt in die Heimat zurückbringen soll. Doch an Bord gibt es für Poirot keine Zeit zur Erholung: Einer der Passagiere wird ermordet in seinem Abteil aufgefunden und der Detektiv entschließt sich, den Fall aufzuklären. Ihm ist klar, dass der Mörder einer der zahlreichen Menschen im Zug sein muss - nun ist jeder ein Verdächtiger...
Natürlich war es ein Risiko: Das Genre des zwar verzwickt erzählten, aber ebenso betulich und langsam anmutenden Krimis ist heutzutage zumindest in der Kinolandschaft so gut wie ausgestorben und eigentlich auch gar nicht mehr so ansprechend für die Leinwand, ist es doch alles eine ganze Ecke kleiner und persönlicher geraten. Das ist sicherlich alles andere als ein Qualitätsmerkmal, dennoch steht noch immer die Frage im Raum, ob das Remake eines bekannten Krimis denn nun, trotz großer Stars in sämtlichen Rollen, nun überhaupt einschlagen wird - beruft man sich rein auf die Qualität des Produkts, könnte dies vielleicht noch ein wenig angezweifelt werden.
Regisseur Kenneth Branagh, der hier, wie auch bereits in anderen Projekten zuvor, ebenfalls die Hauptrolle übernimmt, findet aber zumindest einen überzeugenden Ansatz, wie ein solcher Film heutzutage aussehen sollte und macht die 2017-Version von "Mord im Orient-Express" zu einem optischen Hochgenuss: Die Bilder der stürmischen Schneelandschaft sind von erhabener Schönheit, der Soundtrack angenehem zurückhaltend, die Ausstattung ebenso nostalgisch wie prunkvoll... und der mächtige Schnurrbart des Hauptdarstellers eine wahre Augenweide. Am positivsten hervorheben muss man jedoch die Arbeit von "Cinderella"-Kameramann Haris Zambarloukos: Die Kamera fliegt förmlich durch den Zug, anbei laden kreative Aufnahmen durch Fenster hinweg oder von der Decke auf die Protagonisten herabschauend dazu ein, jedes Bild als kleines Kunstwerk zu verstehen - sollte der Film genug Anklang finden, wären angesichts solcher Aufnahmen diverse Nominierungen bei unterschiedlichen Preisen sicherlich gerechtfertigt.
Auf Handlungsebene bekommen Kenner der Geschichte jedoch abseits der visuellen und optischen Genüsse (ein abschließendes Verhör gerät dabei gar als Zitat des Abendmahls) wenig geboten - die Geschichte ist nun mal bekannt, die Auflösung ist es ebenfalls, dementsprechend bleiben Überraschungen aus. Der Hauptfigur des Poirot wird besonders während des humorvollen Beginns noch etwas mehr an berechnender Tiefe geschenkt, ansonsten bleibt der Film jedoch erstaunlich geradlinig und biedert sich glücklicherweise nicht zu sehr beim Mainstream an. Die wenigen Actionmomente wirken dabei im Gegensatz zum dialoglastigen Rest auch erstaunlich ungelenk, beschränken sich aber zum Glück auf ein Minimum - gebraucht hätte man eine Verfolgungsjagd unter den Schienen oder das bildgewaltige Auslösen einer Schneelawine sicherlich nicht, wirken diese Szenen doch arg effekthascherisch.
Der Krimi-Plot an sich wird gut auf die Leinwand gebracht und ist ziemlich spannend und kommt besonders im letzten Drittel während eines elektrisierenden Finales auf Hochtouren. Zuvor besitzt "Mord im Orient Express" jedoch auch einige Durststrecken - die langwierigen Verhöre entbehren keiner Spannung, sind aber dennoch oftmals zu lang geraten, besonders weil sich die Verknüpfung gewisser Beweise und Fakten, die Poirot hier blitzschnell erfasst, für den Zuschauer nicht immer sofort erschließt und große Aha-Momente dabei ausbleiben.
Über solcherlei Schwächen fegt jedoch die exquisite, namhafte Besetzung hinweg: "Harry Potter"-Star Kenneth Branagh gefällt als angenehm leichtfüßiger Detektiv mit Humor und Hirn und startet hinter seinem grandiosen Schnurrbart ein entzückendes Mienenspiel. Johnny Depp agiert überraschenderweise nuancierter und kleiner, als man es in den letzten Jahren rund um den Hutmacher und Captain Jack Sparrow von ihm gewohnt ist, wirkt sogar bedrohlich. Von den zahlreichen Verdächtigen schießt sich ebenfalls niemand ins Aus, sie alle bekommen ausreichend Leinwandzeit, wobei Judi Dench und Josh Gad besonders hervorstechen. Generell wird die Zeit der einzelnen Charaktere jedoch hervorragend auf alle verteilt - einzig von "The Great Wall"-Star Willem Dafoe hätte ich hier tatsächlich gerne etwas mehr gesehen.
Fazit: Spannender Krimi, der auch heute noch funktioniert. Die Besetzung macht ihre Sache sehr ordentlich, die Kameraarbeit ist ein kleines Kunstwerk. Einige Längen und unnötige Spektakel im Action-Bereich trüben den dialoglastigen Spaß jedoch besonders im Mittelteil ein wenig.
Note: 3
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