Wow, da scheint aber jemand einen Lauf zu haben. Die deutsche Schauspielerin Emilia Schüle ist schon lange im Geschäft, in den letzten Jahren startet sie aber so richtig durch und es sieht so aus, als könne sich 2017 als wahnsinnig erfolgreiches Jahr in ihrer Karriere niederschlagen: Viel Lob für den deutschen Thriller "Jugend ohne Gott", überraschend starke Einspielergebnisse für die Komödie "High Society"... und nun, kaum einen Monat später, gleich schon den nächsten Film in den Startlöchern. Ein riesiger Erfolg wird "Simpel" zwar wohl nicht werden, denn dafür ist die Konkurrenz in diesem November einfach zu groß, dafür funktioniert das Ding aber schauspielerisch und macht das Trio aus Erfolg, Qualität und Darstellung für Schüle 2017 perfekt.
SIMPEL
Nach dem Tod seiner krebskranken Mutter Julia (Anneke Kim Sarnau) verspricht Ben (Frederick Lau) seinem seit der Geburt geistig behinderten Bruder Barnabas (David Kross), der von allen nur "Simpel" genannt wird, auf ihn aufzupassen... wie er es bereits seit zwanzig Jahren tut. Doch das Gesetz macht ihm einen Strich durch die Rechnung und möchte Simpel in eine Einrichtung einweisen, die ihm hilft, seine Qualitäten besser zu fördern. Ben solle dabei entlastet und Simpel besser geholfen werden, doch Ben sieht dies nicht ein: Gemeinsam mit seinem Bruder flüchtet er vor der Polizei und lernt an einer Tankstelle die junge Medizinstudentin Aria (Emilia Schüle) und ihren Arbeitskollegen Enzo (Axel Stein) kennen, die sie nach Hamburg mitnehmen. Dort möchte Ben seinen leiblichen Vater aufsuchen, damit dieser ihm hilft, sich um Simpel zu kümmern...
Die Darstellung eines behinderten Menschen ist für einen Schauspieler stets eine ganz besondere Herausforderung, kann er hier doch rasch in die Gefahr geraten, zu viel zu machen und somit eine unnatürliche Performance abzuliefern, die in einem solchen Fall noch schwerer negativ wirkt. David Kross neigt dann tatsächlich manchmal dazu, ein wenig zu überzeichnen - die Kamera klebt förmlich an ihm und ab und zu wäre weniger hier vielleicht doch mehr gewesen. Zu sehr möchte man ihm angesichts der wenigen Szenen, die hier eben nicht so ganz funktionieren, aber keinen Strick drehen, denn der Anteil der Momente, in denen seine Darstellung absolut fabelhaft ist, überwiegen hier ganz klar: Kross haucht "Simpel" Leben und Gefühl ein, eine pure Freude und den Spaß am Dasein, dass man ihm dabei sehr gerne zusieht.
Seine Performance erhält jedoch durch seinen Spielpartner deutlich mehr an Gewicht, denn die Szenen, in denen Kross gemeinsam mit "Die Welle"-Star Frederick Lau durch Hamburg zieht, sie endlich ihr eigenes Abenteuer erleben, diese sind von ganz großem Gefühl. Lau liefert als gehetzter und stets zwischen den Fronten stehender Bruder der Titelfigur, der irgendwie immer alles falsch macht, obwohl er doch nur das richtige tun will, eine grandiose Leistung ab - vielleicht eine der besten, die er in seiner beachtlichen Karriere jemals vollbracht hat. Lau spielt kleiner und nuancierter und trifft dabei stets den richtigen Ton.
Ihm zur Seite steht Emilia Schüle, die vielleicht auch noch nie so gut war wie hier: Wie sie zwischen sachlicher Kälte, alleiniger Einsamkeit, Witz und tiefer emotionaler Zuneigung quasi spielerisch hin- und herwechselt, das ist große Schauspielkunst, die man gerade im doch gerne mal etwas überzeichnenden deutschen Film selten sieht. Schüle vertraut dabei gänzlich auf ihren eigenen Charme und ihre Ausdrucksstärke, um der zwar etwas flacher gezeichneten, aber dennoch die Zuschauer klar für sich einnehmenden Aria Gewicht und Tiefe zu verleihen. Unter den drei Hauptdarstellern droht der ehemalige Comedy-Star Axel Stein beinahe unterzugehen, doch auch für den ehemaligen "Vorstadtkrokodile"-Star muss man hier dringend eine Lanze brechen: Der Sprung vom albernen Kasper hin zu einem ernstzunehmenden Darsteller ist ihm mittlerweile gelungen und Stein agiert so natürlich und mit so viel Wärme, dass man förmlich an ihm klebt. Insgesamt ist das also eine mehr als achtsame Besetzung, die "Simpel" hier gelungen ist und die dabei auch ganz klar Herz und Seele des Werks ist, trotzdem funktioniert der Film auch darüber hinaus.
Das größte Kompliment, welches man den Machern hier machen kann, ist, dass sie trotz des rührseligen Themas im Grunde nie im Kitsch versinken. Die emotional nachhaltigen Szenen werden mit angemessenem Realismus inszeniert, selbst der Schluss verläuft überraschend klar und hält sich dabei nicht mit großem Tönespucken auf. Das hat der Film auch nicht nötig, funktioniert die treibende Handlung, die nur im Mittelteil von einigen Längen gehemmt wird, auch alleine durch ihre einfache Kraft. Sie bleibt spannend, bringt uns den Figuren nah und ist dabei, obwohl man hier förmlich nichts wirklich Neues erzählt, ungemein ehrlich und realitätsnah. Natürlich werden einige Dinge vereinfacht, dennoch ist es eine große Freude, allen Beteiligten dabei zuzusehen, wie sie den meisten Klischeefallen gekonnt ausweichen und dennoch das Herz am rechten Fleck haben. So etwas darf es in der deutschen Filmlandschaft gerne öfter geben - und dann auch mit diesem unglaublich talentierten Cast!
Fazit: Berührendes Drama über zwei Brüder, die Hand in Hand durchs Leben gehen und dabei füreinander einstehen. Getragen von einem ganz starken Cast, ausgestattet mit Humor, Tiefe und Herz, ohne dabei in Kitsch zu verfallen. Womöglich der beste deutsche Film des Jahres, trotz manch einer inhaltlichen Schwäche.
Note: 2-
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